Das Putzgen

Papa, würdest du bitte die Küche fegen?- frage ich meinen Vater. Er sitzt am runden Tisch, zwischen dreckigen Tellern, abgenagten Knochen und sonstigen Resten eines Festmahls, den ich extra für ihn veranstaltet habe, denn er ist nicht alle Tage in Berlin. Er trinkt ein Schlückchen aus seinem Slivovic, atmet gut hörbar durch, wie das nur Leute mit  großem Resonanzkörper und chronisch verstopfter Nase können, und antwortet nicht.

Ich räume die Teller zusammen, werfe die Knochen weg, spüle. Mein Mann bringt die Kinder ins Bett, meine Schwester macht die Betten. Papa gießt sich wieder Schnaps ein, und schaut fröhlich in die geschäftige Runde.

„Weißt, du, was der Präsident der rumänischen Akademie für eine dunkle Gestalt ist?“ – fängt er mit seinem Lieblingsthema an, nämlich Rumänien und die Politik, und der Antidiskriminierungsrat in Bukarest, wo er als Anwalt Dauergast ist. Er vertritt Menschenrechtsverletzungen auch oft  unentgeltlich oder aus eigener Initiative. Alles und jeder, der sich rassistisch, minderheitenfeindlich oder einfach nur schwer ignorant verhält, wird von meinem Vater bei der Kommission angezeigt. An sich eine sehr ehrenwerte Sache.

„Ich meine dunkel im Kopf…“ – fährt er fort und schüttelt seinen. „Lieber Gott, in der Rumänischen Akademie herrscht noch Mittelalter…“

„Also Papa, fegst du, oder was passiert“ – ich falle ihm ins Wort und bin fest entschlossen dieser Sache mit dem Fegen heute endgültig auf den Grund zu gehen.

„Ich kann nicht fegen“ – antwortet er und das habe ich ohnehin geahnt. Denn ich sah ihn noch nie im Leben mit einem Besen in der Hand. Oder mit einem Putzlappen. Oder mit einem Waschlappen. Beim Wäschefalten, oder beim Bügeln. Umso häufiger sah ich ihn beim politische Diskurse führen, etwas rigoros zu Ende erklären, recht haben oder recht haben wollen, mit Bärenschritten und Aktentasche in der Hand durch die Straßen laufen, seinen Anwaltstalar in einer Plastiktüte baumelnd. Im Büro sitzen, und profilaktisch „Aha und Ühüm“ sagen, für den Fall, dass ihn jemand etwas gefragt hätte.

Ich sah ihn aber auch beim Rock´n Roll tanzen oder  zu viel Schnaps beim Schweinschlachten trinken. Manchmal beides zusammen.

Im Sitzklostil Skilaufen. Nach dem Mittagessen zehn Minuten schlafen, immer im Pyjama.

Vor riesigen Massen reden halten. Im Fernsehen Statements abgeben.

Aber fegen? Das nicht.

Neulich wurden dank seiner Anzeige der Bürgermeister unserer siebenbürgischen Kleinstadt, die gesamte Stadtverwaltung, ein Freizeit-Radiosender und dessen Sprecher wegen Diskriminierung zu Geldstrafen verurteilt. Und das nur, weil sein Enkelsohn, also mein Sohn, im Sommer im Freibad verloren ging und der Moderator von “Radio Ferien“ sich weigerte, einen Hilferuf auf ungarisch oder auf Deutsch zu entsenden, also auf einer Sprache, dass das betroffene Kind auch versteht. „Hier spricht man nur Rumänisch“ – donnerte er, woraufhin mein Vater einen Zettel nahm, seinen Namen aufschrieb und ging.

Ich glaube dass dieser Moderator am nächsten Tag in einen Schock verfiel, wovon er sich bis heute nicht erholt hat, als er beim morgendlichen Kaffee in die Zeitung sah und was las? Dass er einem Kleinkind in einer Notsituation die Hilfe verweigerte, im rigorosen Festhalten daran, nur rumänisch sprechen zu wollen.  Und als er dann das Radio einschaltete um stündlich die Ansage über sich selbst zu hören, und im Internet den Shitstorm sah, da brach für ihn eine Welt zusammen. Die nämlich einer rumänischen Kleinstadt, in der man alles unbestraft machen, Menschenrechte mit Füßen treten, Minderheiten diskrimnieren, Steuern hinterziehen, sich mafiös organisieren und an der Korruption beteiligen kann, ohne jemals dafür belangt zu werden. Denn nun, das erste mal in seinem Leben, wurde er für ein Unrecht, das er getan hatte, zur Rechenschaft gezogen. Und mit ihm sein Sender, die für den Sender zuständige Stadtverwaltung und der dafür zuständige Bürgermeister.

Dass dieser Moderator selber ein Ungar ist, wie sich bald herausstellte, der sich als rumänischer Nationalist ausgibt, tut nichts zur Sache. Außer, dass es die dostoiewskischen Abgründe einer Gesellschaft zeigt, in der ethnische Konflikte zur Normalität gehören.

Mein Sohn tauchte im übrigen kurze Zeit später auf, und alles war mit ihm in Ordnung.

„Ich kann’s dir zeigen, wie fegen geht.“  – sage ich meinem Vater und  denke darüber nach, dass ihm mein Lammbraten wieder nicht geschmeckt hat, und die Suppe erst recht nicht, denn er sagte ständig, dass es „interessant“ sei.

Meinen  Spielfilm verstand er auch nicht, angeblich weil dort zu Hälfte deutsch gesprochen wird. Englische Untertitel bringen da auch nichts. Die einzige Fremdsprache die er spricht ist rumänisch.

In meinem Dokumentarfilm fühlte er sich falsch dargestellt.

Den Rest hat er gar nicht gesehen.

Er fand es nur tragisch, dass nicht mal irgendwas von mir auf der Berlinale lief. Oder in Cannes. Das hätte ihm dann doch Freude bereitet, vor allem die Szene, wie ihn Leute auf dem Markt anhalten und fragen, wie es seiner Tochter geht und er darauf antwortet: Danke gut, ihr Film läuft gerade in Cannes.

Ich nehme den Besen in die Hand, und mache ein paar deutliche Bewegungen in seine Richtung.

„Lass mal. Fegen ist nichts für mich“

„Warum nicht?“

Achselzucken, schweigen.

„Ist in Ordnung, aber ich möchte zumindest von dir hören warum. Eine Erklärung wissen. Du musst dir da schon etwas dabei gedacht haben. Du hast doch immer eine logische und plausible Erklärung…. Du willst doch nicht, dass ich etwas ohne eine Erklärung einfach so akzeptiere. Schließlich glauben wir an den Lieben Gott genau aus dem Grund nicht. Weil es für seine Existenz keine Erklärung gibt.“

Mein Vater schweigt. Er grunzt und kichert in sich hinein, nervös, als würde ein kleines Männlein in einem Topf rühren, direkt unter seinem Bauchnabel.

„Ist das etwa… eine zu niedere Arbeit für dich?“

Weiteres Schweigen.

„Wenn du schweigst, dann nehme ich das als Einverständnis“.

Keine verbale Reaktion.

„Gut… Alles klar. Weiß ich Bescheid.“

Ich fege weiter, er trinkt seinen Schnaps.

„Aber, das Mama fegt, das ist nicht weiter schlimm, ja? Sie ist Professorin. Hat zweihundertfünfzig wissenschaftliche Abhandlungen veröffentlicht. Darunter mehrere Bücher und einen Bestseller mit dem Titel „Giftige Zimmerpflanzen“. Sie ist Vorsitzende der Vereinigung „Ungarische Dozenten für die Erhaltung der Muttersprache an der Medizinisch-Pharmazeutischen Universität Targu-Mures“ . Sie kämpft für zweisprachige Tafeln an Korridorkreuzungen oder Toiletten. Das ist mindestens genauso spannend  wie ein Strandradio beim Antidiskriminierungsamt anzuzeigen…. Wo also ist der Unterschied zwischen euch, dass sie fegen soll und du nicht?“

Je länger ich nachfrage, desto lauter wird das Schweigen. Das kleine Männlein da drinnen muss mittlerweile so schnell rühren, um meine Fragen zu übertönen, dass meinem Vater buchstäblich die Ohren zuckeln, obwohl er mittlerweile kaum noch atmet um nichts von sich preiszugeben. Ich sehe plötzlich Rumpelstilzchen, das gerade gemerkt hat, das man seinen Namen weiß. Oder Gulliver im Zwergenland, der nicht weiß, wohin er treten darf.

Während ich das Kehrblech in die Mülltonne entleere, denke ich über die möglichen Erklärungen nach, warum eine Frau wie selbstverständlich manche Arbeiten macht, die wiederum ein Mann nur unter massivem Gesellschaftszwang zu tun bereit ist. Denn in einer Gesellschaft, wie die rumänische, wo keinerlei Zwang besteht, macht auch kein Mann etwas im Haushalt.

Neulich saß ich mit einem großen blonden Mann, dem Lebensgefährten meiner ungarischen Busenfreundin, einem schwedischen Künstler in einer Berliner Eckkneipe. Wir tranken und rauchten uns die Hucke voll, denn das ist ein Schwede, der säuft und raucht, als käme er aus Ost-Europa. Das finde ich sehr angenehm an ihm. Wahrscheinlich hat er sich deswegen meine Freundin, eine typische Ost-Europäerin mit einem Hang zur unnatürlichen Blondierung und Minirock mit Tigermustern ausgesucht.  Der Schwede also, der im übrigen auch schon mal in der MOMA ausgestellt hat, und in allen möglichen Themen sehr bewandert ist, so als wäre er gar kein Künstler, sondern Professor für Medizinwissenschaft, sagt auf ein Mal, und ich weiß,  gar nicht mehr, wie wir darauf kommen, dass Frauen eine besondere, angeborene Begabung fürs Putzen hätten. Genauso, wie sie einen natürlichen Mutterinstinkt besitzen, zumindest meistens. Große Werke hingegen, könnten Frauen eigentlich nicht vollbringen. Man schaue nur die Wissenschaft an, die Kunst, die Musik an. Das sei eindeutig.

Es gibt Momente, in denen sich der Teufel in Urlaub auf Alaska aufhält und ich ganz alleine bin. Das finde ich sehr schade. Denn der Hypothese des Putzgens empörtes Feministinnengerede entgegen zu setzen, beleidigt tun oder politisch korrekt zu argumentieren ist fast so, wie eine Bestätigung.  Und wer sich rechtfertigen muss, hat seine Niederlage bereits zugegeben. Also entschied ich mich, ernsthaft darüber nachzudenken, ob das stimmen könnte.

Denn, das wäre eigentlich auch putzig. Das Putzgen. Das könnte man dann auch Männern implantieren oder Embryos. Oder Tieren. Die Putzgans, zum Beispiel, wäre eine Gans, die einem die Wohnung sauber macht. Von dem genmanipulierten Hausmann der Zukunft gar nicht zu sprechen. Das könnte sogar ein Exemplar werden, der je mehr abwäscht, desto weniger sexuelle Lust besitzt, wie eine ganz normale Hausfrau eben. Eine super Vorstellung. Denn ich empfinde den postmodernen Lustzwang als ziemlich anstrengend.

Ich schaue also meinen Vater genau an und bin nicht bereit aufzuhören, denn der Teufel ist von seinem Alaska Urlaub Gott sei Dank zurückgekehrt.

„ Wenn jemand also, eine minderwertige Arbeit nicht machen muss, während die Andere ja, dann heißt es schlicht, dass diese beiden Menschen nicht gleichwertig sind…. Das heißt also, dass Mama weniger wert ist als du. Und warum? Ich kann zwischen  euch nur einen Unterschied entdecken: du bist Mann und sie ist Frau… das heißt für mich im Umkehrschluss, dass für dich Frauen weniger Wert haben, als Männer…. Nicht schlimm. Muss man nur dazu stehen.“

Stille. Mein Vater steht  langsam auf.

„Na… dann gehe ich jetzt mal schlafen. Gute Nacht“ – sagt er und verlässt leise den Raum, wie einer, der gerade aufgegeben hat.

Am nächsten Morgen herrscht fröhliche Stimmung in der Küche. Die Kinder quatschen, wir trinken Latte Macchiato, selbst gemacht. Mein Vater erscheint und setzt sich zum gedeckten Tisch. Wir reden über den Antidiskriminierungsrat und über seinen Mandanten Tökés, den Helden der Revolution, dem der rumänische Staat ungerechter Weise das Ehrenkreuz entziehen will.

Das Frühstück geht zu Ende, wie immer. Wir räumen den Tisch ab, mein Mann geht mit den Kindern, die Schwester verschwindet im Bad. Es wird stiller, ich bleibe mit meinem Vater allein.

„Ich finde es im übrigen sehr gut, dass ihr eurem Sohn beibringt, zu Hause zu helfen“ – sagt er plötzlich.

Ich schaue meinen alten Vater erstaunt an. Denn er ändert prinzipiell niemals seine Meinung. Nichts kann ihn überzeugen, wenn er etwas nicht glaubt. Und Selbstkritik übt er sowieso niemals.

„…So wie wir damals aufgewachsen sind, das geht heute nicht mehr“ – fährt er fort.

Er sucht nach Worte. Bisschen ist er verlegen. Ich warte ganz andächtig. Denn er ist grade dabei das größte Zugeständnis seines Lebens zu machen.

„Und das war auch nicht richtig…so wie wir erzogen wurden…auch Männer müssen helfen“

In der Küche ist es ziemlich warm. Aus dem Hinterhof tönen die fetzen einer Arie, der Sänger übt wieder. Und mein Vater hat grade einen Weg gefunden, etwas anzuerkennen, ohne sich selbst dabei zu verraten.

Denn fegen wird er trotzdem nicht. Nicht in diesem Leben.

 

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8 Antworten auf Das Putzgen

  1. Anonym sagt:

    Also ich finde ja, aus eigener Erfahrung, dass Männer von Natur aus viel besser für die Hausarbeit geeignet sind. Sie können ohne Probleme die Matratze hochheben um unter dem Bett zu staubsaugen, auf den oberen Regalen Staub wischen und Fenster putzen ohne Leiter, kräftiger schrubben um Flecken zu entfernen, hohe Spiegel ohne Leiter putzen, … Es ist einfach genial. Mann braucht nur halb so viel Zeit. Wirklich. Echt jetzt. Vielleicht muss man es (das Putzgen) den Männer nur entsprechend verkaufen, denn es ist nicht mal gelogen. Ansonsten halte ich es nach dem Motto: mir braucht kein Mann im Haushalt zu helfen. Es reicht wenn er seinen Teil erledigt. Meinen Teil schaffe ich auch allein. (Geklaut bei KatjaBerlin Twitter)

  2. Pingback: Woanders – diesmal mit Monstern, Beppo, Thüringen und anderem | Herzdamengeschichten

  3. Sebastian sagt:

    Sehr schön! Meine Mutter (Jahrgang 29) erinnere ich zum Teufel niemals gesehen zu haben mit Staubsauger, Besen, Wischtuch. Was nicht nur daran lag, dass wir eine Putzfrau hatten, sondern dass ich meinen Vater (Jahrgang 21) mit all dem erinnere. Er nannte sich Feminist, hatte außerdem aus einem alten Hotel eine Klinik gemacht, war in den 60ern von der CDU zur SPD gewechselt und von evangelisch zu katholisch.

    Und mir hat sie mit zwölf das Waschgen implantiert, als ich sie zusammenstauchte wegen meines eingelaufenen Lieblingspullis: “Schau, hier steht drin, wie heiß man waschen darf und da auf der Maschine ist der Knopf, um das einzustellen und dort der zum Anstellen. Das machst Du ab jetzt selbst.” Leider hatte sie kein Bügelgen zum Weitergeben. Mein schon immer selbstwaschender Vater kaufte sich nur noch bügelfreie Hemden, ich trag zerknitterte.

    Und kehre täglich (Jahrgang 63)

  4. Mareike sagt:

    “Es gibt Momente, in denen sich der Teufel in Urlaub auf Alaska aufhält und ich ganz alleine bin. ” — made my day.

  5. Oh, diese Situationen in denen der Teufel in Alaska Urlaub macht – die sind verfahren. Meine Lieblingsformulierung in diesem ganz hervorragenden Beitrag, zu dem ich alle Herren verweisen werde, die mich von meiner weiblichen Veranlagung zum Putzen überzeugen wollen.

  6. Sofasophia sagt:

    ich liebe deine texte! dieser hier ist zugleich so tiefgründig wie humorvoll – das ist wirklich genial.
    über das putzgen muss ich ernsthaft mal nachdenken. und über das bedürfnis nach sauberkeit insbesondere … :-)

  7. Beatrice sagt:

    Putzgen, genial. Ich glaube ich habe auch kein Putzgen abbekommen. Somit wäre ich eine gute Kandidatin, um Männern Motivationskurse zum Putzen zugeben. Aber vielleicht ist die Putzgans effektiver und wir trinken weiter Schnaps und füttern die Putzgänse und die Wollmäuse.

  8. Gitta Benkő sagt:

    Statt “Neulich wurden (…) wegen Diskriminierung zu Geldstrafen verurteilt” have ich: “NATÜRLICH wurden (…) wegen Diskriminierung zu Geldstrafen verurteilt” gelesen. – eine echte osteuropäische Leserin.

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