Sysiphos

„Ich will nur, dass wir die Miete zahlen können – sagt Josef, und zieht an seinen blonden, zerzausten Haaren, die vom ständigen Raufen zu Berge stehen.“

Mein Mann hört auf zu lesen und schaut mich genervt an: „ Wieso schreibst du auf einmal in der dritten Person?“

„Khm…äh…ich wollte mal ausprobieren ob ich das kann, richtige Literatur und so…“

Er beugt sich über dem Computer, rauft sich die Haare und liest misstrauisch weiter.

„ Josef rechnet laut, zählt und flucht. Der Abend ist fortgeschritten, vor ihm auf dem Küchentisch der aufgeklappte Computer, alles voller Papiere, in dem muschelförmigen Aschenbecher der Stummel einer Zigarette. Das stimmt nicht, du bist ein Workoholic – denkt Mirra . Sie lehnt an der Küchentheke und beobachtet ihn. Josefs Gesicht ist blass und leicht verschwitzt – du gehst mir auf die Nerven – sinniert sie weiter und nippt an einem Glas Birnenschnaps…“

Ich lehne an der Küchentheke und schaue meinen Mann an. Der Artikel scheint ihn wenig zu erheitern.

“… immer dieses hysterische, egozentrische Opfergehabe – ich will keine Probleme hören – krakeelst du, wie ein vierjähriger und auch mit vier hast du keins auf die Fresse gekriegt wenn du dich dumm benommen hast, das ist dein großes Problem und das deiner ganzen beschissenen Wessigeneration von verwöhnten egozentrischen Arschlöchern, mit den antiautoritären Scheißeltern. Boah. Mirra spürt, wie so häufig bei Josefs Anblick einen ganz tiefen körperlichen Wunsch ihm eins in die Fresse schlagen. Oder ihm die Haare auszureißen. Oder beides. Bis bis er diesen unbewohnten, vernachlässigten Scheißkörper fühlt, den er besitzt.“

Mein Mann schaut kurz hoch ich lächele freundlich zurück und trinke einen Schluck Schnaps.

Mir ist es immer noch schleierhaft warum du in der dritten Person schreibst. – sagt er. Denkst, du wirklich, dass dann nicht sofort alle wissen um wen es geht?

Es geht um niemanden, es ist Fiktion.

Fiktion.

Ja, Fiktion.

Dass glaubst du selber nicht.

Doch natürlich, autobiografisch inspiriert, aber Fiktion.

Denkst du, nur weil du es der dritten Person schreibst, ist es gleich Fiktion?

Klar.

Da täuschst du dich.

Die halbe Weltliteratur würde ausscheiden, wenn es nicht so wäre.

Mir egal, dann such dir ein Verleger und mach ein Buch. Das ist was anderes….aber nicht sowas ins Internet stellen.

Warum nicht?

Weil es nicht lustig ist.

Es muss nicht alles lustig sein.

Dieser Text hat gar kein Humor…

Ich lass mich nicht von dir zensieren!

Er starrt auf den Bildschirm und liest weiter. Hier zum Beispiel.

„Der Egoismus der Eltern zerstört die Kinder nachhaltig – denkt sie – und Opfergetue zähle ich zum abgrundtiefen Egoismus.” - Wen meinst du damit eigentlich?

Ich versuche ganz wertneutral dreinzuschauen.

Das meine ich generell.

Gib zu. Du meinst doch meine Eltern…oder warum schreibst du in der dritten Person?

Ich entschließe mich, nicht mehr zu antworten und stehe da mit zusammengekreuzten Armen, schweigend.

„Mirra dreht sich  langsam um. Der Trockner brummt leise.

Mit wem hast du vorhin telefoniert?

Mit Pierre.

Aber du gehst jetzt nicht etwa Bier trinken?

Warum denn nicht?

Weil du schlafen sollst, du arbeitest 14 Stunden am Tag und  bist immer gehetzt und genervt und…

Du sollst mir nicht sagen, was ich tun soll! Ich mache was ich will!

Lohnt sich das – fragt sich Mirra für einen Moment – die Brüllerei, die jetzt kommt, bloß weil ich etwas gesagt habe, was er nicht hören will?

Ich finde es nicht gut, wenn du so wenig schläfst, wenn du so mit dir umgehst…

Ich hasse dich! – Josefs Kinn zieht sich noch mehr nach hinten, die Lippen verspannen sich, sein Kopf  läuft rot an. -  Er hat eine Macke – denkt sie – der hat die ganz klare Psychomacke. Ich bin mit einem durchgeknallten Egomanen verheiratet.

Du kannst wohl gar nicht aushalten, wenn ich dich kritisiere…“

Er klappt den  Laptop zu und verlässt wütend die Küche. Der Trockner brummt leise. Im Hinterhaus übt der Opernsänger. Ich klappe den Laptop wider auf. Im anderen Zimmer höre ich meinen Mann telefonieren. Ja ok, dann bis gleich. Die Tür geht wieder auf, mein Mann lächelt freundlich. Ich geh jetzt ein Bier trinken…und es ist viel besser, wenn du was lustiges schreibst…

Ja, Tschüss.

Mirra legt sich ins Bett macht das Licht aus. Sie versucht nicht zu denken. Wie war das noch mal mit der Meditation. In sich hineinspüren. Das Herz.

Das Herz ist eine weiche Kammer, die sich langsam mit Blei füllt. Es drückt  durch die Matratze und die abgezogenen Dielen hindurch tief in die Erde hinein. Ein paar Fetzen aus Emails von heute schießen ihr durch den Kopf „Die Begegnung mit dem spirituellen Meister könnte dein Leben verändern…“ Sie muss lachen.

Wie soll das hier jemals verändert werden.

Das hier ist tausend Jahre alt. Schwer wie Blei und stark wie der Tod. Und der Stein rollt immer nach unten. Mama, denkt sie, Mama.

Und langsam fließen die Tränen.“

Ich stehe einen Moment verloren in der Küche herum. Dann gehe ich schlafen.

 

 

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16 Antworten auf Sysiphos

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  3. Beatrice sagt:

    meine liebe,
    ich möchte mehr lesen von den alltäglichen katastrophen und freuden.
    und wenn es nur über deinen begleiter den eimer ist.
    :-)

  4. Sherry sagt:

    Wo steckst du nur? Komm’ zurück …

  5. kurt sagt:

    das mit dem Bier hab ich nicht kapiert.

  6. balázs zsóka sagt:

    Sysiphos ist weiblich! Geworden-, oder war, immer auch schon eine weibliche Variante vorhanden? Die aber als Hausdrache genannt wurde… die immer ihre „Blei-Steine“ : Mann, Kinder, Fiktion, Non-Fiktion, die „beschissenen Wessiegeneration von verwöhnten egozentrischen Arschlöchern“ usw. Tag ein, Tag aus bis zum Tod rollen musste. Nicht weinen!
    … sondern Mamas Rezept über Das Geheimnis der glücklichen Ehe anwenden!

  7. Ira Tondowski sagt:

    Wie man’s dreht und wendet, ob Fiktion oder real, ob bierernst oder humorvoll, solange man stoisch versucht den großen Vater zu verarschen und sich freudig über die heilige Mutter zu stellen, gibt’s über die Ehe immer viel zu erzählen, Romane zu schreiben. Das ist doch wunderbar! Und leise brummt der Wäschetrockner.

  8. Sherry sagt:

    Mich hat das hier sehr bedrückt, ich kann nicht erklären, warum. Vielleicht, weil ich beide Seiten nachvollziehen kann. Du hast offensichtlich über deinen Mann geschrieben, und er hat offensichtlich nicht gemerkt, was du ihm damit sagen willst und auf sein Recht gepocht. Als das nichts gebracht hat, ist er gegangen. Ich weiß nicht, ich bin traurig. Ich kann’s nicht definieren, aber ich kann’s fühlen. Ja, es ist tausend Jahre alt. Schwer wie Blei und stark wie der Tod. Wie auch das hier -> Das schwache Geschlecht.

    Vielleicht kannst du damit mehr anfangen als andere Geschlechtsgenossinnen.

    • reka kincses sagt:

      Ich meinte ja auch mich. Dieses Wechselspiel von Selbstmitleid und Projektion und echte Gefühle. Weil, was ist die Wahrheit?

      Aber er hat mir nicht geglaubt, dass ich mich selbst auch meine. Tue ich aber. Wenn auch ein wenig voreingenommen…

  9. ute sagt:

    Gerade heute hörte ich im Radio einen Bericht über Sisyphos.
    Man solle sich ihn als glücklichen Menschen vorstellen…
    Oder wie Camus sagt: Man muss sich Sisyphos glücklich denken.
    Was wohl einen kleinen Unterschied macht.
    Und immer wieder rollt der Stein hinab und Tränen reinigen das Herz.
    Die eigene Last findet man immer wieder.
    Ganz einfach stolpert man über den Stein.
    Bin ich der Stein oder bin ich die Irre,
    die ihn immer wieder auf den Berg schleppt?
    Keine Ahnung.
    Wollte einfach nur mal kundtun: Ich war hier.
    Grüsse auch an Herrn Kalnoky.

  10. wunderbar.
    diejenigen, die schlecht über sich selbst lachen können, bestätigen anderen häufig humorlosigkeit.

  11. Boris Kálnoky sagt:

    Und, was geträumt?

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