The only way out is through

Ich liege auf dem OP-Tisch, der provisorische Vorhang direkt vor meiner Nase, dahinter bin ich nackt. „Könnten sie hier statt diesen Lappen, einen Monitor hinstellen? – frage ich – „ Ich möchte einen Film gucken.“ Der junge Mann mit dem grünen Mundschutz und der Haube beugt sich über mich und sagt: „Ha`m wir nicht, aber sie können es später im Formblatt vermerken, wenn sie gefragt werden, wie sie mit unserer Leistung zufrieden waren, da können sie hineinschreiben, dass sie im OP fernsehen wollen.“ „Ja, das mache ich.“

Er sprüht kaltes Wasser auf meinen dicken Bauch, auf die nackten Oberschenkel, ich spüre, dass etwas tropft, aber die Temperatur nehme ich nicht mehr wahr. Dann drückt und piekst er mich mit einem Gegenstand, wahrscheinlich sollte es schmerzen, ich merke nur einen dumpfen Druck, seltsam unangenehm. Der Stoff, der durch einen durchsichtigen Schlauch direkt in meine Wirbelsäule tropft, scheint zu wirken, es tut weh sage ich sicherheitshalber trotzdem und hoffe, dass mir der Mann in grün so viel Zeug verabreicht, dass ich wirklich nichts mehr wahrnehme, gar nichts. Mein Körper ist kalt und heiß, taub und wie von tausend Ameisen überlaufen, mein und doch nicht mein. Bewegen kann ich mich nicht.

Auch das Künstliche ist natürlich, denke ich, die OP, ein futuristischer Urwald, Schläuche und blinkende Geräte, wie Gestrüpp und Unterholz, die Männer und Frauen mit grünen Masken, ein gefährlicher und blutrünstiger Stamm, sie haben ihre Skalpellen gezückt um meinen Blut fließen zu lassen. Der moderne Altar hat Rollen und Kopfhalterung, und ist mit Plastik bezogen.

Als ich nach einer halben Stunde endlich querschnittsgelähmt bin, sagt der Anästhesist: „Freigabe“ – und klingt dabei sehr zufrieden. Dann wendet er sich zu mir: „Wie geht es Ihnen?“

Ich weiß, dass in wenigen Minuten mein glatter Bauch aufgeschnitten wird, Blut wird spritzen und Fruchtwasser, die Gedärme werden hervorquellen  und müssen zurückgestopft werden.

“Schlecht“ –antworte ich – „Ich habe Todesangst“ .

„Morgen ist Sektio und es wird gut gehen, sie haben die 37 Woche geschafft“ – hatte  mir am Tag zuvor der gut gelaunte Arzt aus einem arabischen Land gesagt, es war ein anderer als jetzt, jeden Tag kommt ein neuer Arzt, es geht hier schließlich nicht darum, Freundschaften zu schließen. Ja, ich habe es geschafft und das ohne Cortisonspritze, ohne Antibiotika und all das – „Sie kriegen gar nichts mit und schon können sie ihr Baby im Arm halten” – hatte er noch viel versprechend hinzugefügt, und ich hatte mich unter die Dusche gestellt, um von meinem unversehrten Körper Abschied zu nehmen, endgültig Tschüss, ich sah dieses Messer an dem prallen Bauch ansetzen, es gibt keine andere Wahl, die Natur ist nicht demokratisch, und es ist gut, dass es dieses Messer gibt, sonst wären jetzt meine Tage gezählt, auch ein schöner Tod, noch fast ohne falten.

„Bitte am Abend nichts essen“ – fügte der Arzt noch hinzu aber wir gingen ins Restaurant, in der Nähe vom Krankenhaus, es gab schlecht zubereiteten Spargel, eine aufgeregte Familie, eine Mutter die nie müde wird schlechte Sprüche zu reißen, auch an so einem Abend nicht.

„Wie geht es Ihnen?“ – fragt also der Anästhesist, und ich erwähne Todesangst. Er schaut auf die Monitore. Herzfrequenz, Blutdruck, Blinken und Piepsen. „Hm. Ihr Körper sagt mir aber ganz was anderes. Ich glaube sie sind ganz entspannt.“ Ich versuche die Entspannung zu fühlen, mein Körper ist mir fremd. Kalt und heiß. Entspannt mit Todesangst. Es gibt viel Platz in so einer Seele.

Hinter dem Vorhang stehen mehrere Leute, ich habe sie nicht gezählt. Zwei Ärztinnen werden mich operieren, und das ist mir ganz lieb. Wenn schon mein Bauch aufgeschlitzt werden soll, dann lieber von Frauen, da bin ich knallhart diskriminativ.

Druck, zuckeln, rütteln. „Hilfe, ich will den Schnitt nicht spüren…“ – sage ich dem Anästhesisten, der ständig über den Vorhang lugt. „Schon geschehen! – antwortet er und ich sehe an seinen Augen, dass er aufmunternd lächelt.  Links an meinem Kopf sitzt mein Mann in grünem Kittel, vollständig maskiert, sein Gesicht kommt mir jetzt ganz schmal vor, sein Blick verloren, er wirkt so hilflos. Ich drehe meinen Kopf weg, starre an die Decke, blutige Gummihandschuhe rücken die OP Lampe zurecht, Gewebefetzen bleiben am Griff kleben. Es gluckst und schmatzt, ziwschendurch  knattert es metallisch wie eine Geflügelschere. „Kannst du mir bitte die Ohren zuhalten?“- frage ich, Protagonistin in einem Splatter, meinen Mann, aber der Anästhesist mischt sich ein – „Sie werden den ersten Schrei verpassen“ – sagt er und es ist ein Höllenkonzert, bis ich ein leises Geräusch vernehmen kann, wie das Knarzen der Hexenhaustür, kaum hörbar, und bald hält eine aufgeregte Hebamme  mein Baby im Arm.

Das Leben mag den Tod, denke ich, und vice versa, sie halten sich an der Hand und lassen sich niemals los und der Schmerz ist mit der Freude verheiratet, wir müssen schreien, bis uns die Lunge platzt, wenn wir glücklich werden wollen.

Von der zierlichen, wunderschönen Gesicht meiner kleinen Tochter tropft Fruchtwasser und Blut. Die Geburt ist kein Veganladen.

„Mir ist schlecht“- sage ich dem Arzt. Er gibt mir mit schnellen Handbewegungen eine neue Infusion. Für kurze Zeit geht es mir besser. Es wird hektisch um mich herum, ich höre, wie sie hinter dem Vorhang leise und aufgeregt diskutieren, ein zweiter Anästhesist  kommt hinzu. Ich weiß, dass man bei meiner Diagnose verbluten kann und spüre, wie mir wieder schwarz vor den Augen wird. Noch eine Infusion.

„Gibt es Probleme?“ – frage ich die Ärztin- „ Ihr Gebärmutter hat nicht kontrahiert. Aber wir haben das im Griff.“

Wenn die Gebärmutter nicht kontrahiert, blutet man aus offenen Gefäßen, wie aus einer aufgeschlitzten Pulsader. „Nichts Unnormales.“ – sagt sie, und ich weiß, dass sie niemals sagen würde „Ich glaube, sie werden bald sterben.“

Ich finde nichts Beruhigendes. Nur einfach weiterbeten. Es geht lange. Immer mehr Leute ziehen und zupfen an den Schläuchen. Komisch, denke ich, ich war mir immer sicher, dass mich das Leben ausschließlich mit Samthandschuhen anfasst. Dass ich unverwundbar bin. Dass ich alles locker wegstecke. Nun muss ich erkennen, dass ich verwundbar, schwach und sterblich bin, wie jeder andere Mensch auch. Und das erst mit knapp vierzig und einer hässlichen grünen Mütze auf dem Kopf. Nicht grade eine Erfolgsgeschichte.

Plötzlich presst jemand mit einer solchen Gewalt auf meine Bauchdecke, dass ich aufschreie. „Entschuldigung“ – sagt die dicke Ärztin und drückt noch mal, die Gedärme müssen wieder rein, denke ich. Irgendwann hat das Drücken ein Ende, es wird hektisch gewischt. Der Vorhang wird weggenommen. Die Ärztin zieht ihre blutigen Handschuhe ab und lächelt mich  an:  „Ich bin sehr zufrieden, Frau Kincses.“

„The only way out ist through„ – sagte mir meine Schwägerin in einem langen Telefongespräch. Und das ist das mindeste, was man sagen kann.

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6 Antworten auf The only way out is through

  1. Katika sagt:

    Liebe Réka,
    Immer wieder blutet mein Herz, wenn ich diese “Geschichte” lese. Mich hat der Gedanke erschüttert, dass du in so einer Gefahr warst. Klar ist es schon vorbei – ein für alle mal -, aber die dumpfen Erinnerungen begleiten sicher noch lange. Knapp dem Tod vorbei – und zurück zur Tagesordnung.
    Ich bin aber so negativ, ich sollte mich schämen. Du hast jetzt das wichtigste auf der Welt, deine Tochter, die Verlängerung eines Mutterlebens, die Blume unseres Herzens. Ich höre aber trotzdem nicht auf auch an dich (nicht nur Mutter sondern Mensch) zu denken.
    Ich wünsche dir, dass die vielen guten Erinnerungen die bösen verwelken lassen wie der erste warme Frühlingswind, der mit seiner Leichtigkeit den langen Winter für immer verjagt.
    Ich wünsche dir, dass deine Tochter Lachfalten an dein Gesicht zaubert.
    Ich wünsche dir, dass du die grossen Antworten deines Lebens in ihren kleinen Fragen erkannst.
    Ich wünsche dir alles Gute.

  2. glumm sagt:

    Was Réka auch zur Welt bringt, Glückwunsch! (zur Schreihälsin)

  3. katacs sagt:

    Ó, Réka, sokat gondoltam rátok. Én is elérzékenyültem, így várandósan még jobban, mint ahogy szoktam, remekül leírtad és remekül álltál hozzá az egészhez. Csodállak! Kívánok sok -sok tejcsit a kislánynak és sok szép együtt töltött napot! Ölelés.

  4. Krisztina sagt:

    megint sikerült néhány könnyet veszteni a soraidhoz.
    ismerem ezt a halálfélelmet és a keresést valami tekintetért, melybe kapaszkodni lehetne.
    örülök hogy az élet még egy darabig kézen fogja a halált, nálad is.
    hálás vagyok hogy ismerlek.
    a legszebb nyári napokat kivánok nektek.
    puszi

  5. Sofasophia sagt:

    darauf habe ich wohl gewartet. dass deine tochter geboren worden ist, hast du mir ja geschrieben. aber wie?

    gratuliere, ja, auch ich wünsche dir und euch nur das beste. ich hoffe, dass das “geburtstrauma” keins ist, resp. sich schnell im alltag auflöst und die freude darüber, dass unter dem strich (oder: hinter dem vorhang) alles irgendwie doch geklappt hat, überhand nimmt.

    gutes zusammenwachsen als “neue” familie wünsch ich euch
    herzlich
    soso

  6. Herzlichen Glückwunsch.
    Zu deinem schwarzen Humor sowieso.
    Aber jetzt auch noch zur Tochter!
    Alles Gute für euch.

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