Wirklichkeit

Ich sitze in einem Kreuzberger Schawarmaladen und trinke Pfefferminztee. Meine Freundin isst genüsslich Fleisch mit Soße und Fladenbrot, ich schaue ihr dabei zu. Mein Magen fühlt sich an wie eine kleine harte Nuss, in der Brust ein Stechen, das nicht aufhören will. Ich bin aus dem Krankenhaus geflohen um zu meiner Premiere zu gehen und jetzt fliehe ich vor der Premiere zum arabischen Fast-Food möglichst weit weg vom Ort des Schreckens. Schließlich soll ich vor lauter Aufregung keine Frühgeburt kriegen. Oder sonstwas. Ich halte mich an dem heißen Glas fest, während die Absagen und Kritiken des letzten Jahres, wie der fliegende Teppich des Zauberers aus Tausendundeine Nacht über mir schweben und einen mächtigen Schatten werfen. Hauptsache ich bringe diese Premiere irgendwie hinter mich. Während meine Freundin ein Stück Brot in die Soße tunkt, kommt ein Sms.

„Ab jetzt 93 Minuten“.

Die Todeszelle ist eng, die letzte Mahlzeit habe ich nicht bestellt. Was bringt es, wenn ich sowieso krepieren muss. Gebeichtet habe ich auch schon genug.  Jetzt geht es nur noch darum, das bisschen Zeit abzusitzen, und dann diesen Weg zu laufen, durch die Tür hinaus, den Flur entlang, links abbiegen, hundert Schritte nach rechts, in den Raum hinein, und dem Henker tief in die Augen schauen. Er ist ein strenger und frustrierter Mann mit einem Scheißjob.

Während ich meine Zeit so in Gedanken verbringe, erzählt mir meine Freundin von ihren Plänen, endlich schwanger zu werden, Kindererziehung, Probleme mit dem Schulsystem. Sie redet ohne Pause, ganz offensichtlich um mich abzulenken. Teilweise klappt es auch, ich bin ihr dankbar. Doch innen drin gibt es diese harte Nuss, genau zwischen Bauch und Zwerchfell, ein Punkt im Universum, fest und unbeweglich, so dass ich von dort aus die ganze Schöpfung verschieben könnte.

Noch ein Sms kommt:

„Die Leute lachen.“

Es wird ein bisschen leichter und ich wundere mich. Lachen ist das letzte womit ich gerechnet habe. Bei den Sichtungen mit Kollegen und Fachleuten herrschte stets eine bedrückte Ernsthaftigkeit, eine Art Grabesstimmung, die meine lustig gemeinten Einfälle wie tote Fliegen von der Decke plumpsen ließ, hinein in das Mausoleum der kritisch-analytischen Ernsthaftigkeit. Fehler wurden entdeckt, herausgearbeitet, auseinandergenommen.

Mittlerweile habe ich alle Pfefferminzblätter aufgegessen, die Stimme meiner Freundin plätschert wie ein Springbrunnen dahin, ich kann die Wörter nicht auseinanderhalten. Der Countdown läuft unerbittlich. Wie viele Minuten haben wir noch? Sie sucht nach ihrem Handy. Wir müssen los. Aufstehen und zahlen. Nach links, nach rechts. Kurz in die Wohnung hinein, mein Telefon vom Ladegerät holen. Ein Sms auch für mich da:

„Kommt super! Die Leute lachen andauernd!!!“

Leise kommt Freude auf, wie eine zarte Pflanze, die es gerade geschafft hat, durch eine Felsenritze zu wachsen.

Ich habe mit einem Flop gerechnet. Mit verhaltenem Lächeln von Freunden, die mir vermitteln, dass es nichts macht, mal was vergeigt zu haben, sie lieben mich trotzdem. Ich will aber nicht trotzdem geliebt werden, sondern gerade weil.

Wir steigen ins Auto. Es wird immer knapper. Ankommen, parken. Letze Sms.

„Abspann läuft.“

Eine junge Frau öffnet die Tür und nimmt mir die Tasche ab. Ich gehe in den Saal hinein. Applaus. Treppe hoch. Noch mehr Applaus. Treppe runter. Jubeln. Glückliche Gesichter.

Die Wirklichkeit ist ein komisches Ding.

Es gibt viel Platz auf der Bühne, das Klatschen geht Minuten lang weiter. Menschen kommen und gratulieren. Sie hatten offensichtlich Spaß. Mitunter „ganz normale” Leute, ohne Filmerfahrung.  Andere, die den Film schon vorher gesehen und äußerst kritisch beäugt hatten, sagen jetzt: „Du hast den Film umgeschnitten, oder? Jetzt gefällt er mir super!“  Ich nicke, ja, ja, das stimmt zwar nicht, aber ich will keine Verwirrung stiften.

Ich hatte mal mit großem Erfolg gerechnet. Es wurde ein Flop. Jetzt habe ich mit einen großen Flop gerechnet und es wurde ein Erfolg.

Donnerstag Abend. Tao Te Puh. (Das Buch vom Tao und Puh dem Bären) Kamikazeflieger. Paradoxe Interventionstherapie.

Die Wirklichkeit, nichts als eine weiße Leinwand, auf der ich meine Bilder projiziere.

Nur: wer bin ich? Und wer ist die Leinwand? Was machen die Anderen während dessen?

„Wer seine Heimat verlässt, verliert einen Teil seiner Seele.“ – steht es auf der Postkarte zu meinem Film. In diesem Sinne:

Was ist Heimat?  Und was ist Seele?

 

 

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21 Antworten auf Wirklichkeit

  1. glumm sagt:

    “was ist los?”
    “JA..! MOTTEN!!”

    Super. Hab mir gerade dein Festival-Interview angeschaut: http://achtungberlin.de/festival-tv/interview-zu-heimat-sex-und-andere/ via @interview_zu_”heimat,_sex…

    übrigens, zum thema überintegration: unsere serbischen nachbarn sind es, die sich über radebrechende ausländer am meisten kaputtlachen, nach dem motto “Hast du Deutsch bei Schäferhund gelernt?!”

    • Ich freue mich riesig auf die Fernsehausstrahlung. Sag aber auf jeden Fall Bescheid, wann es so weit ist.
      Aber dieses Interview war enttäuschend. Warum hat diese Moderatorin die Möglichkeit Fragen zu stellen, so leicht vergeben? Ich hätte tausend Fragen. Wie bist du z.B. darauf gekommen systemische Familienaufstellungen zum Drehen zu verwenden?
      Aber vielleicht ist es auch so, dass man, nachdem man den Film gesehen hat, einfach viel mehr weiß. Wer weiß.

      • Boris Kálnoky sagt:

        Eine verdeckt arrogante oder vielleicht auch nur seltsame Interviewerin, eine Regisseurin mit Lampenfieber, und am Ende tolle neue Worte die ich noch nie hörte: Überintegration. Warum tut man sich das an. Bravo.

      • Réka Kincses sagt:

        Wir hatten mal ein Seminar an der Filmhochschule mit Drehbuchaufstellung. Das gibt es schon länger, hab ich nicht erfunden (siehe Syst Institut in München). Das auf das Inszenieren und so zu übertragen, da habe ich auch einiges selbst ausgedacht und ausprobiert. Es ist, wie früher im Kindergarten, Rollen spielen, bis der Arzt kommt und dabei immer neue Sachen ausdenken.

    • Réka Kincses sagt:

      Tja, das mit den Motten…im wahren Leben war das noch viel Lustiger…vielleicht schreib ich mal einen Blog drüber -:)

  2. glumm sagt:

    das freut mich für dich. aber es hätte mich auch gewundert, wenn es nicht.. andererseits, ich wundere mich andauernd.
    egal.
    jetzt warte ich aufs kleine fernsehspiel im zdf.

    • Réka Kincses sagt:

      Das Ganze ist so eingerichtet, dass man sich dauernd wundern muss. Von daher. Die Frage mit Gott haben wir auch schon früher geklärt. Er trägt glaube ich Boxhandschuhe. Oder, wie war das?

  3. hausdrachen sagt:

    Es ist bereits sehr gefährlich -:)

  4. Sherry sagt:

    „Wer seine Heimat verlässt, verliert einen Teil seiner Seele.“ – steht es auf der Postkarte zu meinem Film. In diesem Sinne: Was ist Heimat? Und was ist Seele?”

    Nicht zu beantwortende Fragen, und trotzdem versuchen wir sie immer wieder zu beantworten. Gerade die über die Heimat. Wenn meine Heimat dort ist, wo meine Familie weilt, warum fühle ich dann Heimweh? Wenn meine Heimat dort ist, wo ich geboren worden bin, warum fühle ich mich dort dann nicht {mehr} wohl? Ich glaube, ich persönlich {als Iranerin} habe nicht nur ein Land verloren, sondern die Möglichkeit, dort zu leben. Wenn ich wollte, ich könnte nicht zurück, ohne auf fundamentale Rechte zu verzichten.

    Réka, ich bin so froh, dass du die Premiere so gut überstanden hast, dass deine Arbeit anerkannt worden ist. Und auch deine humorvolle Art, mit diesen Themen umzugehen, ist wunderbar. Man lässt sich durch die Leichtigkeit des Humors in ein Thema hineinmanövrieren, auf dessen Ernsthaftigkeit man nicht vorbereitet ist; und das macht dann die Wirkung aus. Trotzdem, ich würde den Film so gerne sehen, so gerne! Und ich würde angeben und sagen: “Ich kenne die Filmemacherin!” Natürlich würde ich verheimlichen, dass ich dich nur aus’m Blog kenne und nicht persönlich. Haha!

  5. Sofasophia sagt:

    ooooh, wie ich mich jetzt grad freue. während des ersten teils des artikels habe ich grad bauchweh bekommen. dein bauchweh sozusagen, weil du so gut erzählen kannst. eigentlich wundert es mich da nicht, dass der film auch gut ist. denn du bist eine begnadete erzählerin.
    in der schweiz wird der film wohl nicht laufen, was meinst du? gibt es ihn als dvd und wenn ja, wie und wo zu beziehen?
    vielleicht hast du das schon irgendwo geschrieben?
    alles gute für jede weitere aufführung!
    liebe grüsse, soso

  6. balázs zsóka sagt:

    Was ist Heimat? Und was ist Seele? 2 Fragen die einem ein Leben lang beschäftigen. Es sind Identitätsfragen? Oder doch Glaubensfragen?

    Ein Junger Sekler hat einmal gesagt: In Siebenbürgen bin ich ein Bozgor, in Ungarn bin ich ein unerwünschter Rumäne, in Österreich ein dummer Ungar. Und wenn ich nach Amerika komme, was bin ich dort? Ich will nur eine Heimat haben. Wo ist Heimat?

    Heimat ist …

    Gibt es eine Möglichkeit den verlorenen Teil der Seele irgendwo wieder zu finden?

    Schreib mir, bitte wo, wann kann ich ein DVD von deinem neuen Film erwerben.
    Danke.

    Wünsche euch eine sanfte Entbindung. Smiley.

  7. Katika sagt:

    Liebe Réka,
    Vielen Dank für die Einladung, auch wenn es mir nicht möglich war dort hinzugehen. Ich bin schon sehr neugierig, bitte sag Bescheid, wenn es “hier” oder im Fernseher läuft! Mit hat schon dein erster Film sehr gut gefallen, und ich warte schon sehnsüchtig darauf, den Neuen zu sehen!

  8. Ich glaube, etwas in der Art habe ich lesen wollen ;-)
    Ich liebe Fragen. Besonders solche, die man nicht wirklich beantworten kann. Irgendwie scheinen sie ein Teil meiner Heimat zu sein. Oder meiner Seele. Wer weiß das schon.

  9. Gitta sagt:

    Freue mich für Dich! Gerade weil.

  10. Boris Kálnoky sagt:

    Was ist Heimat? Und was ist Seele?

    Vielleicht, zumindest die “Heimat”, ein Konstrukt, wie “Liebe” oder “Nation”. Aber eines, das, wenn es erstmal steht, sehr langlebig ist, weil hilfreich und angenehm. Diese Dinge sind unser Anker auf der weiten See des Lebens. Wenn er fehlt, kann es gefährlich werden.

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