Endlich Premiere oder warum bin ich kein Genie?

Ich habe einen Film gemacht. Der sollte in Cannes laufen. Oder auf der Berlinale. Das tat er nicht. Er lief einfach Nirgendwo. Eine ganze Weile. Ich trauerte, ich ärgerte mich, ich fand es ungerecht, ich kämpfte mit mir, ich gab den ganzen Beruf auf und schmiedete neue Pläne, ich suchte den Verantwortlichen und fand ihn bei mir. Das wiederum fand ich sehr tapfer, dass ich so selbstkritisch war. Vor lauter Selbstkritik blieb in meinem Leben alles stehen. Ich meinte jeden einzelnen Fehler finden und analysieren zu müssen, und hasste jeden, der mich kritisierte. Trotz ausgiebiger Analyse und Nachdenken bis der Arzt kommt, bekam ich keine befriedigende Antwort auf… welche Frage eigentlich?

Ich merkte, dass ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, und die Frage genau stellen musste.  Also stellte ich die kardinale, alles entscheidende Frage eines jeden Künstlers:

„Habe ich überhaupt Talent?“

Hat jemand, dessen erster Spielfilm nicht auf einem großen Festival läuft, Lebensberechtigung? Talent kann man ja nicht erlernen. Also, wenn ich es nicht habe, dann stellt sich die Frage zum Beispiel… einer gut organisierten Hühnerzucht. Jetzt,  wo ich auf dem Land wohne. Oder, in der Rolle der Mutter restlos aufzugehen, in Fitnesswahn auszubrechen, mich für biologisch-dynamische Trennkost und Waldorf-Erziehung zu interessieren, oder mein Seelenheil bei den Zeugen Jehovas zu suchen.

Ich übersetzte die Frage auf Ost-Europäisch. Jetzt lautete sie so:

„Bin ich genial?“

Bei uns zählt nämlich gar nix unter Genie. Leistung ist etwas für langweilige Protestanten.

Béla Tarr*  ist zum Beispiel genial. Wenn ich auch nur eine Einstellung aus einem seiner Filme sehe (die Einstellungen dauern im Schnitt 35 Minuten in schwarz/weiß), dann wird mir klar, dass ich mindestens noch fünfmal als Ameise auf die Welt kommen und sehr fleißig Sandkörner schleppen muss, um das mal zu schaffen. Die Antwort könnte also lauten:

1. Nein, ich bin es nicht. Genie zeigt sich schon im Kindesalter. Oder spätestens mit Anfang zwanzig, in einem rasenden Festivalerfolg.

Ich aber wusste mit Anfang zwanzig höchstens, in welche Kneipe ich am Abend gehen werde. Oder nicht einmal das.

Darüber, dass ich kein Genie bin, wurde ich sehr traurig. Und irgendwie fand ich das auch ungerecht. Warum ausgerechnet ich nicht? Der Mozart oder die Frida Kahlo oder auch der schon erwähnte Béla Tarr oder meine fünf Kumpels aus der siebenbürgischen Stammkneipe? Warum sind sie das und ich nicht??

Ich kam nicht weiter, bis sich ein rettender Gedanke auftat:

2. Es gibt auch späte Genies. Manche müssen zuerst todkrank werden oder in den Knast kommen, Drogen nehmen oder sich hoffnungslos in einen Selbstmordattentäter verlieben oder zu Fuß nach Afrika pilgern. Um nur ein paar Möglichkeiten zu erwähnen.

Doch ich habe irgendwie einen ganz dicken Bauch. Muss im Bett liegen und kriege bald ein zweites Kind. Mein Mann ist auch kein international gesuchter Terrorist, nur ein einfacher, manchmal jähzorniger aber meistens netter Ehemann. Mein verzweifelter Versuch, endlich drogensüchtig zu werden, ist schon mit 25 gescheitert… wie soll man da genial sein?

Ich suchte weiter und kam zu Schluss, dass man

3. Nicht genial sein muss um glücklich zu werden.

Ja. So. Das stimmt. Jetzt haben wir die Lösung. So klingt eine Lebensweisheit. Ich brauche das gar nicht, „genial sein“  ist unwichtig, ich konzentriere mich ab jetzt auf das innere Glück. Pause, neuer Kaffee.

Nicht zweifeln, nicht denken, sich auf die inneren Werte konzentrieren.

Plötzlich bin ich drei Jahre alt, sitze im ungeheizten Wohnzimmer meiner Großmutter auf dem Kinderstuhl und darf nicht spielen, um keine Unordnung zu machen. Oma stinkt ein wenig und will mir Werte beibringen. Sie sagt zum Beispiel „Das wichtigste im Leben ist die Güüüte.“  Mit einem sehr langen Ü.

Mein zweiter Kaffee ist schon leer, ich konzentriere mich immer noch auf das innere Glück. Da kommt mir ein rettender Gedanke. Ich könnte meinen ganzen Werdegang als Filmemacher einer Analyse unterziehen.

1. Am Anfang meines Studiums sagte der Dokumentarfilmlehrer: „Sie haben kein ausgesprochenes Filmtalent. Sie haben eine besondere Sicht auf die Welt. Und das ist viel wert.“ – Er wollte mir damit ein Kompliment machen, ich nahm das als Beleidigung.

2. Hauff* sagte: „Sie sollten Filme über Frauen machen. Die andere Seite ist schon belegt.“ – Ein guter Tipp. Habe ihn nicht befolgt.

3. Ballhaus* meinte nach einer Kameraübung: „ Réka, Du hast ein seltenes Talent, mit Schauspielern umzugehen. Ich habe wirklich viele Regisseure in meinem Leben gesehen, junge und alte, und das was du kannst, können nur ganz  wenige“ – Wao. Und das sagt er, der mit Scorsese und Coppola gearbeitet hat.

Danach bin ich als erstes in die Kneipe gerannt und habe mein Erlebnis mit Ballhaus ausgiebig meinen Freunden erzählt. Das machte Eindruck und ich war ganz berauscht von mir selbst und meiner vermeintlichen Größe. Über die Jahre wurde die Story mit Ballhaus meine Lieblingsleier, und ich fing an, mich darüber zu wundern, dass sich das noch nicht eingestellt hat. Schon sechs Jahre um und noch keine kleine Scorsesa? Nicht Mal eine Sofia Coppola? Erste Zweifel taten sich auf. Hat er das wirklich gesagt?  Oder habe ich mir das nur eingebildet? Später erkannte mich Ballhaus nicht mal mehr in der Cafeteria. Aber er ist ja auch alt und vielleicht schon ein wenig…na ja.

Meine beste Freundin Réka rief mich an, nachdem sie meinen ersten Spielfilm sah, ihre Stimme, als würde sie mir eine Todesnachricht überbringen: „Wie konnte das passieren?“ – fragte sie.

Der Kritiker rief an und sagte: „Ganz tolles Debüt, gefällt mir sehr gut, das wird super laufen“

Meine Lehrerin sagte: „Du bist so von Meinungen Anderer abhängig, es ist egal wer was sagt, Du musst es für Dich wissen..“

Hühnerzucht, denke ich.  Schenkt mir bitte zwanzig Hühner, ich zähle jeden Morgen die Eier. Das wird toll. Oder macht  mich zum Postboten. Zur Arzthelferin mit Kopftuch beim Kreuzberger Gynäkologen. Oder überweist mir einfach jeden Monat 1500 Netto und ich kümmere mich um den Haushalt.

Es ist Ostern.

4. Nur die Liebe zählt. Das steht in der Bibel im einzigen Kapitel das ich wirklich öfters gelesen habe. Apostel Paulus, erster Brief an die Korinther, Kapitel 13.

Wenn ich in Menschen- und in Engelszungen redete, 
hätte aber die Liebe nicht, 
wäre ich ein dröhnendes Erz und eine klingende Schelle…

An manch einem Karfreitag habe ich über dieses Zitat geweint. Einmal mit sechzehn, da lief es im Radio und ich schlief gerade. Es drang zu mir durch, ohne dass ich die Möglichkeit hatte, darüber nachzudenken. Als ich aufwachte, flossen mir die Tränen, und ich konnte gar nicht aufhören zu weinen, weil ich fühlte, dass es stimmt.

Es gibt eben Dinge, die muss man fühlen und Gefühle sind wie Talente. Die kommen von irgendwo und lassen sich nicht beherrschen.

Solange ich nicht fühlen kann, muss ich eben denken. Oder Hühner züchten. Oder im Schlaf das Radio einschalten und hoffen, dass etwas zu mir durchdringt. Wie zum Beispiel:

„Jetzt schauen wir noch wie durch einen Spiegel 
in einem dunklen Wort,
dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. 
Jetzt erkenne ich nur Teile, 
dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt sein werde. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.

Am größten aber ist die Liebe.“

Schön, oder?

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Premiere am 19.04.2012 um 21:30 im Filmtheater am Friedrichshain


* Béla Tarr [ˈbeːlɒ tɒrː] (* 21. Juli 1955 in Pécs) ist ein ungarischer Filmregisseur.
* Reinhard Hauff (* 23. Mai 1939 in Marburg) ist ein deutscher Regisseur und Drehbuchautor.
* Michael Ballhaus (* 5. August 1935 in Berlin) ist ein deutscher Kameramann, einer der bedeutendsten des deutschen und internationalen Films.
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17 Antworten auf Endlich Premiere oder warum bin ich kein Genie?

  1. glumm sagt:

    sehr weiblich, all die zweifel. wozu sind die gut. wen interessiert ballhaus. ich kenne das von der gräfin. an manchen tagen weltstar, an anderen eine zertretene laus.

    ich würde viel lieber den film sehen.

  2. Nun sag schon: Wie war die Premiere?

  3. Barbara sagt:

    Sehr schöner Text, liebe Réka! Tovàbb igy (filmel, blogal és gyerekekkel!)

  4. Ira Tondowski sagt:

    Hast Du nun Talent oder nicht?
    Frohe Ostern meine Liebe.

  5. Kathrin sagt:

    Richtig, nur die Liebe zählt. Bin ich froh, dass ich kein Genie sein muss, um das zu wissen :)

  6. Sofasophia sagt:

    woooow! ich gratuliere dir.
    ob du für all die da draussen genial bist oder nicht, geht mir am a… vorbei. für mich ist deine schreibe genial. und dein film bestimmt auch. auch wenn ich ihn noch nicht gesehen habe.
    go on!
    (hühner züchten ist aber so schlecht auch nicht …)

  7. Boris Kálnoky sagt:

    5) Talent, aber wofür?

    Ich hab definitiv keines für Ostereier, abr was muss das muss. Frohe Ostern!

    • hausdrachen sagt:

      Hm. Ich glaube Ostereier wären so richtig meine Sache. Aber ich habe keine Farbe zu Hause. War gestern ausverkauft.

  8. Sherry sagt:

    Réka, als ich all das hier gelesen habe, dachte ich nur, ich will dich umarmen, bis dir die Luft wegbleibt! Ich freue mich so sehr für dich! Und Talent und Genie sind so schwer zu beschreiben, weil sie auch abhängig sind von der Epoche, in der wir leben. Ich schließe mich Mützenfalterin an: Ich will deinen Film unbedingt sehen und ich freue mich unendlich für dich. Und Genie macht nicht glücklich! Aber Arbeit, Kampf, der belohnende Erfolg, das Gesehenwerden trotz der Widerstände, das macht glücklich. Und ein dicker Bauch natürlich. Ich wünsche dir die Anerkennung und den Erfolg, den du verdient hast. Wenn du nur halb so gut Filme machst, wie du schreibst, dann kann’s nur gut werden …!

    JA!

    • hausdrachen sagt:

      Diese Fragen kann man eh nicht beantworten oder lösen oder, oder. Ich habe aber ein tiefes Bedürfnis über die kleinen, fiesen Qualen im Kopf zu sprechen, die mich so durchs Leben begleiten und die glaube ich jeder hat. Ich hege immer die Hoffnung, dass durch das Aussprechen Dinge einfach an Kraft verlieren und ich habe öfters die Erfahrung gemacht, dass es funktioniert. Das basiert eigentlich auf altes, magisches Denken, so wie im Volksmärchen der Teufel den Tageslicht scheut oder die Alte Hexe in unseren ungarischen Märchen den Helden sagt: “du hast Glück mich Großmutter genannt zu haben.” Dahinter steht der Glaube, dass man nur die Kräfte beeinflussen kann, deren Name man kennt. “Nenne es beim Namen” heisst es im Deutschen auch. Und das ist alles, was ich versuche: Dinge beim Namen zu nennen. -:)

  9. Beatrice sagt:

    Liebe Réka,
    Talent, ach das ist doch langweilig, Du bist zwar genial, aber zum Glück kein Genie. Auf die Liebe, auf die Freundschaft, und fröhliche Ostereier meine Liebe. Wer sucht, der mag auch finden, es ist nur die Frage was. Mir gefällt Heimat, Sex und andere Unzulänglichkeiten, ich freue mich schon den Film endlich groß auf Leinwand zu sehen. Alles Projektion oder wie oder was.
    Morgen ist Ostern und jetzt schneit’s.

  10. Ich heiße zwar weder Ballhaus, noch Béla Tarr, aber ich finde Dich genial!
    Und den Film will ich sehen, unbedingt! Und ich will, dass er ein verdammter Erfolg wird.

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