Scheißbürokrat kann man überall sein

„Wo wollen Sie entbinden?“ – der Arzt ist in meinen Mutterpass vertieft und macht sich Notizen. Statt einem Arztkittel trägt er ein dunkelrotes Hemd und okkerfarbenen Pullunder. Er ist Buddhist. Um ihn herum goldene Statuen, nepalesische Seidentücher, mit kreisförmigen Bildern, Kerzen. Selbst die Untersuchungsliege ist in rot und okker.

„In Havelhöhe“ – sage ich – wir ziehen aufs Land, da ist dieses Krankenhaus uns am nächsten. Ich schaue meinen Mann an, er schweigt. Mein Sohn sitzt brav zwischen uns auf dem Stuhl. Sie sind mitgekommen, um das neue Baby mit Ultraschall zu sehen.

„Wo genau ziehen sie hin ?“ – fragt der Arzt, ohne hochzuschauen. „Ins Havelland… in ein Dorf.“

„Welches Bundesland ist das?“

„Brannndennbuuurg“ – ich singe das vor, als Zitat aus dem Brandenburg-Lied um ein wenig Humor in die Situation bringen. Keine Reaktion. Er scheint das Lied nicht zu kennen.

„Dann müssten sie vom Land Brandenburg die Hebammenliste anfordern.“ – sagt er sachlich und hat von seinen Notizen immer noch nicht hochgeschaut – „Die Ärztekammer hat diese Listen. Sie müssen jemanden in ihrer Nähe suchen.“

Ich weiss, dass er ein spiritueller Lehrer ist, ein Kloster in Berlin gegründet hat und Meditationsunterricht gibt. Er ist der offizielle Erbe der Ayya Khema, einer weltberühmten buddhistischen Lehrerin. Sein Gesicht bleibt unbewegt, bis er zu Ende geschrieben hat.

Und warum ziehen sie nach Posemuckel? – fragt er mit einer plötzlichen Wendung. Ich bin überrascht. Posemuckel. Da handelt es sich wohl um Kulturgut, dass ich nicht kenne. Als Ausländer. Obwohl ich es mir vorstellen kann was das bedeuten könnte. Mein Mann lacht leise. Er will da nämlich auch nicht hin.

„Wegen der Natur.“ – sage ich unsicher.

„Ach was ” – Der Buddhist lächelt spöttisch und ich frage mich, wie er sich das überhaupt erlauben kann, wo er doch frei von jedem Urteil sein sollte.

„Ja… da fühle ich mich mehr zu Hause, in der Natur.“ – sage ich trotzig.

„Zu Hause sind sie hier,“ – er zeigt auf seinen Brustkorb – „und wenn sie hier drinnen nicht zu Hause sind, dann werden sie immer Angst haben. Die kommt überall mit.“ – Er lächelt vielversprechend.

Ich versuche einen klaren und entschlossenen Eindruck zu machen.

„Die Natur kann aber helfen.“

Seine Antwort kommt wie aus einem Gewehr geschossen, schnell und zielgerichtet und ziemlich leise: „Ich kenne die Natur gut, glauben sie mir. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, direkt am Waldrand…“

„Ja, genau, wir ziehen auch auf einen Bauernhof, direkt am Waldrand…“ – sage ich, froh über eine Gemeinsamkeit.

„Glücklich war ich dort nie, dass sag ich ihnen, es war alles andere als schön, alles andere… “ – er hält einen Moment inne und ich denke, nanu, ein Trauma oder was? – „Ich war danach heilfroh, in der Stadt zu sein.“ – fährt er fort.

Pause. Er guckt mich lange an. Die Flammen der Teelichter kommen mir jetzt ziemlich laut vor.

„Unglücklich kann man überall sein.“ – antworte ich schließlich.

„Das gleiche gilt auch für das Glück.“ – sagt er und lächelt wieder, wie einer der gewonnen hat.

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17 Antworten auf Scheißbürokrat kann man überall sein

  1. Katika sagt:

    Ich habe auch mal in Posemuckel gelebt, aber das hiess bei uns (in Schwabenland) „Hinterfurzingen“. Dort habe ich lange gelebt, und wunderschöne Sonnenaufgänge erlebt. Nebel, Tau und den frischen Duft frisch gemähten Rasen beim Fahrradfahren, Biogemüse vom örtlichen Markt. Und spiessige Nachbaren, und köstliches Wildfleisch beim Metzger, das im benachbarten Wald geschossen wurde, und Kindergärten, die in der Mittagspause zu hatten und kein Mittagessen für die Kinder hatten. Mütter, die schon immer dort gelebt hatten und an die ich hätte nie rankommen können. Und Mütter, die ebenfalls Neuankömmlinge waren mit demselben Heimweh wie ich. Prall gefüllte Kindergeburtstage, Kinderzimmer mit sonnengelber Wand, perfekt gedüngter Rasen…
    Die Kinder haben viel draussen gespielt, viele kleine ländliche Freunde gewonnen. Die Jahre vergangen und ich hätte auch bleiben können, und sie auch. Aber ich habe mich alleine gefühlt, und das Gefühl gehabt, „mit diesem Mann“ überall auf der Erde allein gelassen zu sein.
    Ich denke, es ist beinahe egal, wo man lebt und unter welchen Bedingungen, solange es beidem passt und solange keiner allein gelassen wird mit seinen Problemen. Es sind Phrasen, und total langweilig, weil jeder sie auswendig kennt, ich weiss. Nur leider sind die wahr. Wir haben das Grundstück perfekt ausgewählt, die Eigenheimzulage perfekt ausgenutzt, perfekt über die Kreditbedingungen verhandelt, die Grundrisse unseren Vorstellungen und Möglichkeiten angepasst, das passendste und effizienteste Heizsystem installiert, die Fliesen perfekt gefugt, und die Grünanlage auch perfekt angelegt. Die neuen Nachbaren zum Grillen eingeladen. Aber wir haben dabei vergessen, was uns beiden verbindet – ob uns noch etwas verbindet. Wir haben die Bilderrahmen perfekt zusammengebastelt, dabei blieb aber unser Bild unfertig und zerbrochen, asymmetrisch und konturlos.
    Ihr beiden seid aber ein gutes Paar, zwei Menschen, die sich lieben und gut zusammenpassen, deswegen denke ich, dass es eine gute Entscheidung sein kann. Ich denke, es kann eine schöne Phase Eures Lebens sein, wenn es Euch beiden passt. Ob Waldrand oder Stadtmitte, ich wünsche Euch viel Glück dabei.

  2. mona sagt:

    Der Buddhist, so wie er hier beschrieben wird, ist ein selbstgefälliges Schlitzohr.
    Und am Ende ein verbohrter Mann.
    Am Ende sind Religionen universelle Zwangshandlungen, da hat Freud schon ganz recht.

    • Boris Kálnoky sagt:

      Ein Glück dass es sie gibt, die Religionen – wer weiss, welche universellen Zwangshandlungen wir ohne sie bekämen.

      • mona sagt:

        Weniger verlogene vielleicht. Und in Ansehung der allgemeinen Verkitschung des Religiösen auch ästhetisch interessantere, bösere – Zwangshandlungen.

        • hausdrachen sagt:

          Ja. Schwierig. Es gab auch da schon immer die Dogmatiker und die Mystiker. Thomas von Aquin oder Meister Eckhart. Die einen glauben an Systeme und Theorien, die sie nie erfahren haben die anderen suchen nach dem transzendenten Erlebnis. Für mich ist jeder der glaubt, religiös und unterliegt kollektiven Zwangshandlungen. Auch der überzeugte Atheist, der Wissenschaftsgläubige, der Ökö, der Feminist, der Rationalist, der Freudist. Alle sind sie religiös. In jedem Moment zu ertragen, das man nichts weiss, ist der gnostische Weg. Und wer schafft das schon.

        • Boris Kálnoky sagt:

          Was mich betrifft, gebt mir lieber von den kitschig religösen Zwangshandlungen, möglichst mt ein paar Tränen aus dem Auge eines Zistersiensers. Die ästhetisch interessanten, bösen sind der Grund warum ich das Kino meide. Brrr.

          • mona sagt:

            Das Kino meiden? So etwas ist hinsichtlich einer artistischen Idiosykrasie, gar ästhetischen Theorie nur einem Arno Schmidt oder Wiesengrund Adorno erlaubt. Bei den anderen ist es einfach – uninteressant.
            Zur Kategorie des Bösen siehe Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens.

  3. ute sagt:

    Meine liebe Réka,
    ich weiß nicht warum, ich freu mich. Jetzt kommt halt die AufdemLand-Phase und ich bin sicher, sie tut dir gut. Du bist nach wie vor in meinem Herzen, daran scheint sich nichts ändern zu wollen! Also: verschwinde nicht so ganz für mich, ja! Ute

  4. Sherry sagt:

    Ach Réka … Genauso ein kleiner Mensch sein wie wir, aber einen auf überlegener Buddhi machen. Das ham’ wa gern, ne? Übrigens: Auf dem Land zu leben wäre für mich auch eine furchtbar schwierige Sache. Aber ich hoffe, euch wird es richtig gut tun. Und ich wusste nicht, dass du wieder ein Kind trägst. Ich freue mich sehr für euch, auch wenn die Zeiten der Selbstzweifel wieder wachsen werden mit einem Wesen, für das man einfach immer die Beste sein will.

  5. Alexandra Sophia sagt:

    Ach Rèka, wat wärsde ohne Trotz im Gepäck…..lass da nisch abwümmeln und tob dich am waldrand aus, biste die nase dicke hast…..ich find es aktuell am waldrand passend….und 3xdie woche in berlin tagsüber auch….alles eine frage worauf die Linse guckt….und mit deinem neuen Lebensglück im Bauch wird es bestimmt nicht langweilig…..besuch dich gerne mal mit meinem kleinen machochico….aber mein dickster lacher kam bei Boris Lachen ist Silber und Deiem Wieso denn…herrlich……und besser…..Guts Nächtle

  6. Beatrice sagt:

    Das klingt ja fast wie die Vorbereitung des Rückzugs oder den Zweifeln zum Trotz ich gehe trotzdem.
    Natur ist etwas Schönes. Natur ist langweilig. Langeweile ist der göttliche Zustand bei den Buddhisten.
    Nur Mut und auf ins Glück.
    Ich werde dich vermissen in Berlin

  7. Sofasophia sagt:

    danke für diesen input. ihr habt beide recht, der buddhist und du. und ich hoffe, dass du auf dem land glücklich wirst.
    die heimat im herz – darüber denk ich aktuell auch viel nach, auch bloggenderweise. schön, diesen faden hier bei dir ebenfalls zu finden. ich werde ihn in mir drin weitertragen.

  8. Karin sagt:

    *gg* immer wieder schön, wenn der budhistische Ansatz den eigenen Erfahrungen weichen muss.
    Gute Entbindung und ein schönes Leben für dich, wo immer du dich entscheidest glücklich leben zu können. Alles Liebe Karin

  9. Boris Kálnoky sagt:

    Reden ist Silber

  10. Réka Kincses sagt:

    Warum denn das?

  11. Boris Kálnoky sagt:

    Jezt hab ich doch fast mein Bier verschüttet vor Lachen :)

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