Die drei heiligen Könige

Es gibt Leute, die mir richtig Angst einjagen. Zum Beispiel 21 Jährige Börsenmakler in Armani Kostüm, opportunistische Langweiler aus meiner ehemaligen Schulklasse die heute Kulturminister sind, rumänische Grenzpolizisten, Literaturkritiker, perfekte Mütter die für den Kindergeburtstag immer selbst die Kuchen backen und trotzdem Karriere machen. Ministerinnen mit sieben Kindern. Schauspielerinnen mit siebzehn Kindern, davon zwölf adoptiert. Schriftstellerinnen, die neben ihren drei Kindern Tonnenweise Märchenbücher zeichnen darüber wie sie den ganzen Tag mit den Kindern spielen – man fragt sich, wann sie dann schreiben – und auch noch basteln und dann alles fotografieren und auf ihre ganz tolle Webseite posten neben Puppenspiel, Kinderzimmereinrichtung, Tortenwettbewerb und Faschingskostümsammlung- natürlich alles selbst gemacht.

Ich dagegen kriege Lust etwas umzuschmeißen, schon wenn ich länger als eine halbe Stunde mit meinem Sohn Weihnachtsengel gezeichnet habe.

Und doch dieses Jahr, da hat mir eine Freundin erzählt sie würde mit ihrem kleinen Jungen jedes Jahr die Krippe basteln, aus Ton – man müsse die Figuren nicht brennen, sie dürfen ruhig kaputtgehen, nächstes Jahr gäbe es neue. Sie trocknen einfach zwei Tage lang, dann werden sie bemalt schön mit Wasserfarbe und kommen unter dem Weihnachtsbaum.

Das mache ich jetzt auch, denke ich. Was Gutes für mein Kind. Es wird alles besorgt, eingerichtet, auf den Tisch gestellt. Ich bastele. Das Kind macht nicht so richtig mit, er spielt lieber Piratenschlacht, rennt im Kreis durch die Küche und schmeißt mit Ton um sich. Ich verspüre einen Zwang weiter zu kneten, er soll schließlich sehen was Ausdauer und Konzentration bedeutet. Ich erzähle die Geschichte der unbefleckten Empfängnis, die Reise nach Bethlehem, widerhole die Namen der drei heiligen Könige – alles gut artikuliert und in zwei Sprachen – damit das ganze zumindest einen Bildungseffekt hat.

Die Könige geraten etwas zu bärtig, die Körperhaltung zu lässig, einer trägt eine Sonnenbrille, der andere hat einen Joint in der Hand, das eigentlich Myrrhe sein sollte, der dritte einen Hut auf, und ich erkenne langsam meine alten Kumpels aus der Stammkneipe in Rumänien. Die Jungs schauen mich amüsiert an und ich sehe, dass sie schon mindestens fünf Schnäpse intus haben. Ich bin in bester Gesellschaft und die Laune steigt.
Jetzt ist Maria dran. Ich kann meine Finger gar nicht kontrollieren, sie formen was sie wollen. Statt einer Venus von Willendorf, wie ich sie ursprünglich geplant habe, wird sie eine hagere, strenge Frau mit einer großen Nase, die auch nach einer ganzen Flasche Schnaps noch grade laufen kann. Mein Sohn hat sich mittlerweile auch anstecken lassen und bastelt ein Jesuskind aus zwei Kugeln, der später lila angemalt wird. In unsere Krippe herrscht heitere Stimmung und ich merke, dass der dritte König bald einen rock´n roll mit Maria tanzen wird.

Am nächsten Tag ist mein Sohn krank. Durchfall. Ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen. Alle Unterhosen, Pyjamas und Strümpfe vollgeschissen. Er sitzt unten ohne auf einer Gummimatte und kann natürlich nicht in die Kita. Ich kann nicht arbeiten. Ich nehme es mir vor ihn als gute Mutter zu pflegen und etwas schönes mit ihm zusammen zu machen. Die lustigen Figuren bemalen. Wir setzen uns mit den Farben hin.

Er nimmt die erste Figur in die Hand. Den König mit dem Joint. Der Joint bricht ab, dann die Krone, dann der Bart von dem anderen. Schließlich brechen zwei Könige ganz durch. Mein Sohn weint. Ich beiße die Zähne zusammen. Ich werde Sekundenkleber besorgen – sage ich. Wir bemalen die Bruchstücke. Dann greift er nach Maria und lässt sie fallen. Der Kopf mit der schönen Nase rollt durch den Küchenboden. Ich schreie.

„Verdammter Scheiss, ich haue lieber alles kurz und klein, das taugt doch alles nichts! Wenn´s kaputtgehen soll, dann wenigstens richtig, nicht so ne Krümelkacke hier!“
Meine Hand ballt sich zur Faust, ich habe wahnsinnige Lust zuzuschlagen und da sehe ich meinen kleinen Sohn ganz bitterlich weinen.
„Es war ein Versehen“ sagt er und seine Tränen kullern. „Ich will zu Papa…es war doch nur ein Versehen“ – er schluchzt und sitzt da mit dem nackten Popo auf der Gummimatte, erschöpft und krank, vier Jahre alt und ich habe rumgewütet als wäre ich selber drei , weil meine Figuren kaputt sind. Das ganze tut mir plötzlich so Leid, es schmerzt, als hätte jemand meinen Brustkorb aufgeschlitzt und nach dem Herz gegriffen, ich muss meinem Sohn helfen , denke ich, wieder alles gut machen. Mist. Ich habe einen gravierenden Fehler gemacht. Ich habe ihm weh getan. Ich war ungerecht. Hysterisch. Egoistisch. Unmöglich.
Ich muss auch weinen, aber ich bin die Erwachsene. Hilfe. Ratgeber. Therapeuten. Lieber Gott. Perfekte Mütter. Hilfe.

Ich atme durch und nehme ihn im Arm. „Es tut mir Leid“ – sage ich. „Es tut mir furchtbar Leid.“„Ich bin ganz traurig“- sagt er. Und so sieht er auch aus. „Warum muss ich immer alles kaputt machen?“ – fragte sich meine Mutter nach ihrem sechzigsten Geburtstag. Sie hatte alle Gäste rausgeschmissen, weil wir ihr als Überraschung eine Gipsyband eingeladen hatten. Und sie hasst Überraschungen.

Später habe ich Kleber besorgt. Es lässt sich alles kleben, denke ich. Oder fast alles.

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13 Antworten auf Die drei heiligen Könige

  1. dickie-birb sagt:

    Gracias, apenas tenga tiempo hago una busqueda más profunda.

  2. Das wirft kein gutes Licht auf mich, aber ich muss es loswerden: es tut mir gut, zu lesen, dass es anderen Müttern auch so geht, dass sich andere Mütter auch so egoistisch, blöd, wie dreijährige benehmen. Scheiße, ich kenne das leider gut. Vielleicht hilft es Deinem Sohn auch, wenn Du sagst, da in einer anderen Stadt (und bestimmt nicht nur da) gibt es zumindest noch zwei Jungs, die eine schwer erziehbare Mutter haben.

  3. caro sagt:

    was für eine erquickende, fröhlich stimmende weihnachtsgeschichte! ich hoffe v. blieb der einzige der unten ohne weihnachten verbringen musste. viele liebe grüße nach dort!

  4. gina sagt:

    Hallo Reka,
    Fabi ist seit 23.12. krank.
    Kotzerei, Bindehautentzündung, Fieber und Husten gleichzeitig!
    Seit heute gehts besser.
    Deine Anekdote hat mich schmunzeln lassen.
    Frohe Weihnachten! und liebe Grüße:gi

  5. Boris Kálnoky sagt:

    Frohe Weihnachten! Schöne Krippe. Und weibliche Hysterie gehört nunmal zum Frausein dazu. Dafür gibts zum Ausgleich ja den Mann. Apropos, wer in der Krippe ist Josef?

  6. Sherry sagt:

    Ach Réka, du bist so ehrlich, das macht dich echt, das macht dich zum anfassen, das macht dich für mich zu einer großen Erleichterung. Deine Wut, deine Überforderung, dein eigenes Kind in dir, das noch will, was es vielleicht nicht immer hatte, das macht dich schön. Und dein eigenes Kind, das wird viel besser lernen mit der Welt da draußen umzugehen, wenn er keine perfekt lächelnde, ständig backende, sich präsentierende Perfekto-Mama hat, die ihn a) das Leben nicht lehrt, weil das Leben eben uneben ist und b) die seine eigenen Ansprüche an sich überhöht, so dass er an seinem utopischen Selbstbild scheitern wird. Glaub’ mir, besser du als das andere, was du beschrieben hast.

    Ganz ehrlich, ich bin auch immer erstaunt, wenn ich diese toughen Karrierefrauen und fünfachen Mütter sehe. Aber irgendetwas in ihrem Tun und Leben lässt meine innere Stimme sagen: “Das nehme ich dir nicht ab.” Es ist nicht immer so, aber eben sehr oft.

    Eure Figuren sind der Burner, auch wenn man nicht eine Krippe darin erkennen würde. Aber glaub’ mir, gerade das macht das hier schön, ich finde diese Krippen super langweilig. Überall Demut, Demut, Demut. Kann’s nicht mehr sehen.

  7. Reiner sagt:

    Habt ihr toll gemacht, klasse Runde!!
    Bist eine Aufrechte…

    Grüße & frohe Weihnachten,
    Reiner

  8. Sofasophia sagt:

    tolle truppe! die gefällt mir zehnmillionenmal besser als all die netten kitschkrippen und die violette krippe ist echt nicht zu toppen!
    deine ehrlichkeit und dein schreibstil … ach, ich bin so froh, hierher gefunden zu haben.
    wie gut, dass du blogst!

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