Der gesegnete Zustand

Kannst du bitte deine Hausaufgaben machen? – fragte sie immer-wieder in einem leidenden Tonfall. „Ühüm “ – sagte ich und bewegte mich nicht. Ich saß im Wohnzimmer an dem riesigen Schreibtisch, direkt vor der verglasten Flügeltür, dem ganzen Stolz meiner Mutter, davor die große Terrasse und der Garten mit dem runden Blumenbeet in der Mitte, zugepflanzt wie in einem öffentlichen Park, symmetrisch mit langweiligen Blumen, „unser toller Garten und die tolle Terrasse und das große Wohnzimmer meiner Oma“- sagte sie immer wieder, vor allem wenn sie betonen wollte, dass alles ihres ist, während mein Vater nicht mal zwei Stühle geerbt hat. Ich dachte immer, sie habe einfach eine Wahrnehmungsstörung, ich sah nix besonderes an diesem kleinen, popeligen Innenhof, halbwegs zugepflastert, mit ein paar Hecken und Beeten möchtegern-aristokratisch angelegt, längst von den vielen Hühnern meiner Oma zugeschissen– „früher kam immer der Gärtner“- sagte sie. „Früher“, das war auch so ein Wort wie „Oma“, das wie Blei in meinen Knochen hing, und jedesmal wenn ich es hörte machte ich noch weniger die Hausaufgaben, wenn man bei nichts über noch weniger überhaupt sprechen kann.

Ich war neun Jahre alt und meine Mutter musste neun Monate im Bett liegen, weil sie Schwanger war und vierzig, damit das Baby nicht einfach auf den Boden fällt oder beim pinkeln ins Klo, was auch schon paarmal passiert war, deswegen musste sie jetzt flach liegen und mich volllabern. Jedenfalls habe ich von dem Moment an, wo sie sich ins Bett gelegt hat, aufgehört Hausaufgaben zu machen, warum auch immer, und schaute den ganzen Nachmittag in diesen Garten, der mir nicht gefiel, das Schulheft offen vor mir.

Der Garten war vollgestellt mit Gerümpel, kein Gras wuchs, weil die Hühner alles aufgefressen hatten, und überall war etwas kaputt, und daran waren auch die Kommunisten schuld. Am anderen Ende thronte das Haus meiner Oma, und versperrte jeglichen Blick in jegliche Richtung. Ein hässlicher Klotz, misslungener Kleinstadt-Bauhaus umweht vom Gestank der Hühnerkacke.

Ich hatte Lust, einem dieser Hühner den Hals umzudrehen, während die Stimme meiner Mutter, diese Leier in regelmäßigen Abständen  aus dem anderen Zimmer ertönte: „Hast du schon die Hausaufgaben gemacht?“

Mein Vater kam, wie immer spät am Abend nach Hause. Er schlich durchs Zimmer, in der Hoffnung nicht entdeckt zu werden, meine Mutter war wie immer wach.

„Wo warst du?“ – fragte sie mit bedrohlicher Stimme.

„Wir hatten unterwegs zwei Unfälle“  – er torkelte gegen den Schrank.

„Schade, dass mindestens einer nicht tödlich war.“ – sagte meine Mutter mit der Stimme einer transsilvanischen Toxikologin, die grade keinen Zugang zu ihrem Giftschrank hat.

Stille. Dunkelheit.  Schlafen kann keiner. Der Hof ist eingesunken in kosmische Hünerkacke.

„Und meine kleine, freust du dich ein Geschwisterchen zu kriegen?“ – fragt meine nette Lehrerin mit krächzender Stimme und drückt ihre 35.  Zigarette am Tag aus.

„Ja:“ –antworte ich und frage mich, warum ein Kind immer lügen muss.

„Und freut sich deine Mama schwanger zu sein? Schwangerschaft nennt man auch den gesegneten Zustand .“

Was ist Segen, denke ich. Hatten wir noch nicht in der Bibelstunde.

Neulich zum Beispiel war der Doktor bei uns, Papas guter Freund, ein Psychiater, er sollte meine Mutter konsultieren. Papa wollte wissen, ob Mama verrückt ist. Seit sie schwanger den ganzen Tag alleine im Bett liegen muss, sieht sie nämlich dauernd diese Ritzen in der Wand. Und schlecht gelaunt ist sie auch noch. Manchmal redet sie über „fatale“ Sachen. Besonders dann, wenn er gut gelaunt aus der Kneipe kommt. Das findet mein Vater verwunderlich. „Vielleicht ist es ihr einfach langweilig. Sie ist depressiv.“ – sagt der Psychiater – „Versetz dich doch mal in ihre Situation“. Mein Vater runzelt die Stirn. Ich glaube, es gelingt ihm nicht.

Meine Mutter besucht mich in Berlin um mir in meinem gesegneten Zustand zu helfen. Ich liege den ganzen Tag im Bett weil ich kotzen muss. Sie liegt im Bett, weil sie schlecht gelaunt ist. Wahrscheinlich hat sie wieder mal eine Depression. Diesmal, weil sie mit 70 in Rente geschickt worden ist. So lange an einem Stück zu Hause war sie noch nie. Außer als sie schwanger war.

Immer wenn ich sie angucke, wie sie da auf dem Sofa liegt, fühlt es sich an als hätte mir jemand den vollen Kotzeimer um den Hals gehängt. Es ist schwer und es stinkt und trotzdem hat das was mit meinem Innersten zu tun. Ich seufze. Ich weiss, ich muss das annehmen. Auch das. Versöhnung ist nicht immer ein Happy End. Sondern es nimmt einfach kein Ende.

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13 Antworten auf Der gesegnete Zustand

  1. kurt sagt:

    man mensch kann worte in kleider stecken oder sie reinlassen.
    entwerder über sport oder veschwaätz (schmarn) dss passive gebbräu
    oder ebeb nicht..
    hierzu
    gemeinsam
    die kunst am deutschlichen ist die stille
    du kannst deine zukunft bewegen
    und deiner freude gerecht sein

  2. glumm sagt:

    .. Versöhnung ist nicht immer ein Happy End. Sondern es nimmt einfach kein Ende. ..

    tolles ende einer tollen story.

  3. Sherry sagt:

    Ich glaube, das eigentlich Tollste an dir ist deine Selbstironie. Deine Leidenschaft beim Verachten, und wie du dann immer wieder auch auf dich selbst zurück kommst und sagst: “Peng, manchmal bin ich auch bescheuert.” Doch, Réka, ehrlich. Bleib’ nicht mehr solange weg. Aber neun Monate im Bett liegen würde mich wahnsinnig machen, und einen wunden Arsch.

  4. Réka Kincses sagt:

    Danke. Ich bin meistens ein bisschen wütend, das hilft. -:)

    • Sherry sagt:

      Geht ja auch nicht anders. Ich bin bei super relaxten Menschen manchmal sehr skeptisch und neige automatisch dazu, sie irgendwie aufregen zu wollen. (LOL)

  5. du schreibst so gesegnet über diesen zustand, dass ich heute nacht (nachdem ich das hier bereits gestern das erste mal gelesen hatte), geträumt habe, ich wäre im gesegneten zustand.

  6. Samuel sagt:

    Ich möchte mich auch den Gratulationen anschließen: Ich wünsche der Heroin weitere erstaunliche Einblicke ins Geheimnis des Segens durch Ihre tatsächlich gesegneten Zustand. Und vielen dank für diesen Text.

  7. Boris Kálnoky sagt:

    Wäre ich Josef, ich würde die Schwiegermutter einladen, ganz einzuziehen. Die beste Erfindung seit dem Blitzableiter! Gratuliere der fiktiven Heroin zum werdenden Leben :)

  8. beatrice sagt:

    schön dass du dich wieder zu wort meldest, ich hatte schon eintzugserscheinungen.

  9. Réka Kincses sagt:

    Danke auch! Das ist ein tolles Kompliment.

  10. Sofasophia sagt:

    puh … deine art, mit ganz alltäglichen beobachtungen den alltäglichen irrsinn in worte zu fassen, ist so berührend. deine texte gehen unter die haut und ich meine, die menschen vor mir zu sehen.
    danke!!!

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