Zwerg mit Zahnlücke

„Und was sagen Sie zu der Flüchtlingskrise?“ – fragt meine Mutter, die schwarzen Haare stramm toupiert, der Lidschatten leuchtend grün, knallroter Lippenstift bedeckt die Vorderzähne. Auf ihre Frage folgt betretene Stille, drei deutsche Frauen schauen uns mit blauen Augen an und überlegen. Eine von ihnen ist meine älteste Freundin aus Berlin, ihre Mutter und ihre Schwägerin sind auch dabei. Mutter und Tochter schlank und sportlich, schlicht gekleidet, Hose, weißes Hemd, dagegen ist meine Mutter eine Matrone, in schwarz mit Glitzer, eine orientalische Erscheinung, die grade fünfundsiebzig Jahre alt geworden ist und ohne Falten im Gesicht.

„Diese deutschen Weiber sind alle sehr hübsch, auch die Alte, schlank, beweglich, keiner hat hier so einen dicken Arsch, wie wir“- bemerkt meine Mutter während meine Freundin eine gut überlegte Antwort zur Flüchtlingskrise ansteuert.

Sie sagt etwas sehr Intelligentes, etwas über die Folgen von Kolonialismus und europäischer Wirtschaftspolitik. Sie hat mal Ethnologie studiert, sie versteht was von tieferen Zusammenhängen. Ich finde es sehr interessant, was sie sagt, und bin ein bisschen aufgeregt. Es ist nicht das erste mal, dass meine Mutter diese Frage stellt, seit Tagen höre ich nichts anderes von ihr, sobald sie einen Deutschen sieht, fragt sie ihn nach der Flüchtlingskrise. Und ich muss übersetzen.

Meine Mutter ist politisch sehr interessiert. Seit sie in den Ruhestand gegangen ist, schaut sie sich jede Stunde im Fernsehen die Nachrichten an. Dabei trägt sie einen mehrfach geflickten Morgenmantel, Lockenwickler und isst Salzstangen. Die Salzstangen werden für sie extra von ihrer Haushälterin Edith zubereitet, sie hofft, wenn sie Salziges, statt Süßes nascht, wächst der Arsch langsamer. Zwischen den Nachrichten goutiert sie die politischen Talksendungen, Diskussionsrunden und Dokumentationen. Sie kennt alle Abgeordneten des Europaparlaments, Mitglieder des Europarates, des UN-Sicherheitsrates, der US-Regierung, der iranischen, irakischen, afghanischen, russischen  und israelischen Regierung, gefühlt persönlich. Sie schaut fünf rumänische und fünf ungarische Sender abwechselnd, sowohl staatliche als auch private. Mein Mann sagte einmal, ihre Kommentare solle man live schalten.

Weihnachten fing mit der Frage an meinen Mann an, der nach einem kurzen Seufzer seine absolute Solidarität mit der Kanzlerpolitik bezeugte. „Deutschland ist ein starkes Land, ein reiches Land. Deutschland kann helfen“ – sagte er, und meine Mutter hörte vollkommen unbeeindruckt zu. Mein Mann hält meine Mutter für eine ungarische Nationalistin, meine Mutter hält ihn für einen deutschen Schnösel, der ein bisschen ungebildet ist und keine Ahnung hat. Die beiden mögen sich.

„Aber wenn seine  Tochter Ungarisch besser kann als Deutsch, dann kriegt er Panik, obwohl er nix vom Nationalismus hält. Es gibt keine schlimmeren Rassisten als die Liberalen. Die wissen es nicht mal, dass sie es sind.“

Das ging so weiter mit meiner Schwiegermutter, ihrer Mitbewohnerin, unseren Nachbarn im Dorf, den Freunden meiner Schwester. Alle Deutschen mussten die Fragen meiner Mutter zur Flüchtlingspolitik beantworten. Mir war schnell klar, dass jeder das Gleiche sagt. Ihr leider auch. Denn es folgte ein Wasserfall von Spott.

„Die sind ganz schön eingebildet diese Deutschen. Deutschland ist reich, Deutschland ist stark. Die haben wohl die Nase ganz schön oben. Ich glaube nicht daran, dass Menschen so gut sind. “

„Deutschland ist ein reiches Land, ein starkes Land. Deutschland kann helfen“ – höre ich jetzt meine Freundin auch. Oh Gott denke ich, jetzt wird es schlimm, denn die Nacht, wo wir über die hirngewaschenen Deutschen diskutierten, ging so weiter:

Réka: Es kann nicht sein, dass ihr Null, aber auch Zero Mitgefühl habt. Dass es Euch scheißegal ist, dass diese Leute dem Tod von der Schippe springen, dass dort kleine Kinder und alte Leute…

Mutter: Kämpfen sollen die! Kämpfen um ihre Heimat! Was tun! Nicht einfach weglaufen!

Réka : Wie kannst du erwarten, dass Leute sterben, nur um…

Mutter: Die ganzen jungen Männer die sollten zu Hause für Freiheit kämpfen!

Reka: Und die Kinder? Und die Frauen?

Mutter: Ich bin auch nicht weggerannt und habe vierzig Jahre in einer Diktatur gelebt und war verfolgt!

Rèka: Aber Papa ist weggerannt, er war sechs Jahre lang politischer Flüchtling!

Mutter: Das ist was anderes!

Réka: Nein!

Mutter: Doch!

Réka: Nein!

Mutter: Doch!

Meine Mutter schaut wütend drein. Stur. Entschlossen bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Niemals aufzugeben. Ganz schlimme Sachen zu sagen. Nix Mitgefühl. Krepieren.

Ich weiss schon lange, dass solche Gespräche nichts bringen. Ich höre auf und spüre, wie mir langsam die Tränen kommen.

Früher war meine Mutter eine leidenschaftliche Feindin des Kommunismus, ein stadtbekanntes Großmaul in Sachen Gerechtigkeit. Sie verteidigte Roma, die von der Polizei schlecht behandelt wurden, sie setzte sich für Rechtsstaatlichkeit ein, gegen Korruption und vor allem für die Rechte unserer armen, diskriminierten ungarischen Minderheit. Diese Gespräche über den Schmerz der Anderen führte ich mit ihr oft. Das kommt sogar in meinem Dokumentarfilm Balkan Champion vor. Dort habe ich Mitgefühl für die Rumänen, für die arme Mehrheit. Die hätten schließlich auch ihre Traumata. Wir beschimpfen uns gegenseitig als Faschisten, das Gespräch endet damit, dass ich aus ihrem Fernsehzimmer fliege. Anschließend nuckelt meine Mutter an einer Fischpastetentube, und das ganze Kino lacht.

Einmal, das ist lange her, haben wir uns über die Unterdrückung der Afrikaner so in die Haare gekriegt, dass ich eine halbe Nacht lang geweint habe. Danach besuchte mich im Traum ein Zwerg. Es war ein charismatischer und schöner Zwerg mit Zipfelmütze. Er schaute mich mit leuchtenden Augen an und lächelte. Ich sah zu meiner großen Überraschung, dass ihm vorne ein Zahn fehlt. Es war ein Zwergenkind mit Zahlücke.

Dieses Zwergenkind, taucht bei mir immer auf,  wenn es um Unterdrückte und Verfolgte geht. Es bringt mich dazu, zu weinen und das sind keine Tränen des Selbstmitleids. Es hat was mit Mitgefühl zu tun.

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