Freiheit heißt, die Blumen zu gießen bevor man abgeholt wird

Réka, versteh mich nicht falsch, du bist begabt, so meine ich das nicht, du bist sogar eine der begabtesten…aber du solltest nicht Literatur studieren…das wird dich langweilen , was willst du damit? Ich will dich nicht loswerden, ich liebe dich, aber du wirst dich langweilen, du langweilst dich jetzt schon…das ist zu wenig für dich. Du brauchst mehr Leben.

Stille. Ich ahne, dass sie Recht hat, aber ich will es nicht hören. Ich habe zwei Jahre dafür gelernt um hier genommen zu werden. Ich bin neunzehn und es klingt, wie ein Urteil und ein Befreiungsschlag gleichzeitig, ich weiß nicht was ich sagen soll. Der Raum ist klein und abgenutzt, ein pissgelber Vorhang wedelt hinter ihrem Kopf. Sie ist winzig, ihre Brille fast so groß, wie ihr Gesicht, dieses etwas geschwollene, clowneske Gesicht, man erzählt, dass sie trinkt, viel trinkt.

Was soll ich denn machen Éva néni?

Ich denke du solltest Lebenskünstler werden.

Will sie mich verarschen? In einem Land, wo bis eben noch eine tödliche Diktatur herrschte, wo alles nur auf eine Art ablaufen durfte, wo man mit sechzehn die Berufswahl fürs Leben treffen musste um nicht in einer Fabrik zu enden. Da soll ich Lebenskünstler werden?

Nein. Du sollst woanders hingehen. Dieses Land ist dir zu eng.

Aber ich hab hier doch so viele Freunde. Und meine Eltern…und Lebenskünstler ist bei uns zu Hause ein Schimpfwort. Ja, ich weiss- sagt sie.

Pause.

Was ist ein Lebenskünstler? –frage ich.

Éva néni überlegt. Sie ist eine Kultfigur an der Universität von Cluj, Literaturwissenschaftlerin, die Heidegger von Siebenbürgen. Vor ein paar Wochen, am Anfang meines Studiums, hätte ich mein halbes Leben dafür gegeben, dass sie mich anschaut. Und jetzt sitze ich hier in ihrem Zimmer und sie ist grade dabei meine mühsam aufgebaute Lebenslüge kaputtzuschlagen. Sie antwortet nachdenklich.

Lebenskunst ist die höchste Kunst, die ein Mensch beherrschen kann. Es ist die Fähigkeit glücklich zu werden.

Ja, sie will mich verarschen. Ich hab doch jetzt schon ein paar Jahre harte Arbeit da rein investiert möglichst unglücklich auszusehen. Jeden Tag eine Packung ohne Filter Zigaretten geraucht und so. Wenn ich jetzt glücklich werde hab ich  keine Freunde mehr. Nie wieder redet jemand mit mir.

Und was soll ich studieren?– Sie lacht, wie ein Kobold, mit ihren riesigen Lippen und ihren kleinen Knopfaugen, sie ist nicht schön, nein sie ist hässlich, sie ist meine Professorin, sie sollte mich rügen und beschimpfen und drohen , dass sie mich von der Uni schmeißt,  oder meine Eltern alarmieren, wenn ich mich nicht zusammenreiße, das ist was ich gewohnt bin. Das habe ich erwartet. Doch sie lacht. Sie lacht mich aus.

Du hast die Fähigkeit dazu.

Zu was denn?

Na, die Fähigkeit glücklich zu werden. Haben nicht alle. Haben sogar ganz wenige Auserwählte. Du solltest dich darüber freuen.

Scheiße. Was soll ich jetzt sagen. Die Tür geht kurz auf, meine Freundinnen schauen hinein und kichern. Das mich Éva néni unter vier Augen sprechen wollte hat sie in Ekstase versetzt. Klack. Tür wieder zu.

Stille.

Auf einmal sehe ich mich das erste Mal von außen, wie ich hier sitze, bemüht ihr gerecht zu werden, bemüht irgendwas zu sein, was ich nicht bin. Bemüht meine Freunde zu beeindrucken, geliebt werden wollen egal um welchen Preis. Fachsimpeln. Klugscheißen. Blaustrumpf sein. Analysen schreiben über Themen, die mich nicht interessieren. Ja stimmt. Das will ich nicht.

Sie ist bestimmt verknallt in dich – sagen meine Freundinnen später – lesbisch ist sie auch noch.

Lebenskünstler. Wir fahren mit österreichischen Hungarologiestudenten durch Siebenbürgen. Überall wird Wein serviert und wir saufen. Der österreichische Professor für postmoderne Literatur, ein schöner, großer Mann um die vierzig, in weißen Leinenhosen setzt sich ab Torda neben mich und weint. Nur noch der Fahrer ist nüchtern. Éva néni hockt irgendwo vorne und starrt in die Landschaft.

Sie steht vor mir auf dem Flur der Universität in einem lila Jogginganzug, auf dem Gesicht ein komisch langgezogenes Lächeln, an dessen Ende Abgründe hängen, und kramt in ihrer Handtasche. Ich habe was für dich – sagt sie – und drückt mir ein Umschlag in die Hand. Es ist ein Brief von dem Professor für postmoderne Literatur. Er wohnte bei ihr und ging nach dieser Busfahrt nicht mehr nach Hause.

Er hat eine Familie, sagt Éva néni. Familie wäre für mich immer ein Tabu. Denk darüber nach. Sie geht. Ich öffne den Umschlag: ein kleines Heftchen voll geklebt mit Fotos von Barbie und Ken. Ich bin verwirrt. Oder ist er verwirrt? Oder ist das Postmodern?
Eine kleine sonnige Seitenstraße, Sommer, Éva néni mit ihrer Freundin, so einem burschikosen Typen. Ich hatte die Uni schon seit zehn Jahren geschmissen und lebe nicht mehr in Rumänien. Ich erkläre ihr etwas konfus und hastig was ich all die Jahre gemacht habe. Nichts Gescheites setzt sich von meinem Gelaber zusammen. Das Lächeln wieder. Du bist genau SO richtig wie du bist Réka. Es ist alles richtig. Hast du ein Kind?
Das ist verdammt gut Réka. Verdammt wahr und gut. Sie stand im Vorraum des Kinos als mein Dokumentarfilm das erste Mal gezeigt wurde, eine der ersten, die ihn sahen. Ich habe sie nicht eingeladen, sie kam einfach. Ich schäme mich- sagt sie- für mich und für meine Generation vor euch, vor unseren Kindern, wir waren so blind bei alledem was wir gemacht haben. Wir haben euch Kinder nie dabei beachtet. Euer Leid haben wir nicht gesehen. Ich will mit dir ein Wein trinken Éva néni. Nicht heute. Ein anderes Mal.
Éva néni wurde Jahre lang von der Securitate verfolgt. Sie musste jeden Morgen ins Gebäude der Staatsicherheit um einen Anwesenheitsprotokoll zu unterschreiben. Sie wusste nie, ob sie je wieder rauskommt. Danach ging sie an die Uni um uns zu unterrichten. Einmal sagte sie:
Freiheit heißt, die Blumen zu gießen bevor man abgeholt wird. Diese Paar Minuten sind Freiheit.
Am Montag den 23 Mai 2011 hat sich Éva néni umgebracht. Sie sprang in ihrer Heimatstadt Cluj von der Garibaldi Brücke in den Fluss. Ihr Körper blieb an der Schleuse hängen. Sie wurde 65 Jahre alt.
Seitdem ist alles Präsent was ich nicht wurde. Wo ich nicht blieb. Die Uni, die ehemalige Klosterschule, die ungarische Literatur, meine Eltern, meine Großeltern, Éva néni. Der Wein, den wir nicht getrunken haben nach meiner Filmpremiere. Und das sie Recht hatte.

Ich möchte ihr sagen, dass ich sie liebe. Dass ich ihr danke. Und ich wünsche ihr, dass sie ihre Blumen gegossen hat, bevor sie auf die Brücke kletterte.

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10 Antworten auf Freiheit heißt, die Blumen zu gießen bevor man abgeholt wird

  1. Sherry sagt:

    Du hast die Essenz der Augenblicke erfasst wie ein Traumfänger. Ich werde Dich weiterlesen.

  2. Pingback: Zwei Monis « Glumm

  3. 500beine sagt:

    In Deutschland herrscht die Dekoritate: Schmücke dich, dann bist du.

    Na ja. Jedenfalls, ich folge dir atemlos.

  4. Alexandra Sophia sagt:

    ich liebe dich………deine zeilen berühren mich jedesmal so sehr, als würdest du aus meiner seele schreiben…..und dabei habe ich meine vertreibungen stiller und subtiler vollzogen…..scheinbar aber nicht wirklich schmerzfreier…..ich finde es toll, wie viel kraft wir immer wieder haben, wenn es um neue wege geht, doch…..
    deine intensität fühlt sich für mich manchmal an, wie sich die eigene haut runterzureissen…..ohne betäubung…..und der wind ist niemals schwach, der dann darüber streicht.
    ich liebe dich, aus meinem vollen herzen und bin dir ewig dankbar.

  5. Ira Tondowski sagt:

    Möge sie in Frieden ruhen!

  6. Eszter sagt:

    Ich danke dir, Réka. Ich bin nach sieben Jahren Deutschland wieder seit einem Jahr die meiste Zeit hier, “zuhause”… und ich dachte, wegen einer Liebesgeschichte. Aber es war notwendig für mich nochmal zu erfahren warum ich mit 18 aus dem Land rausgeschlichen bin. Es war damals nur ein unartikuliertes Gefühl, und auch eher eine Flucht vor den allesbesserwissenden Eltern.
    Am Anfang hatte ich immer ein komisches, ekliges Heimweh nach Rumänien… jetzt bin ich schon oft genug geschockt gewesen von den Unterschieden zwischen meinen idealisierten Erinnerungen und die Tatsachen die mich hier erwarteten. Und es ist gut so. Erkenne dich selbst und deine Herkunft… denn um etwas lieben zu können, muss man es kennen.
    Auf jedenfall wollte ich mich für diesen Blog hier bedanken.

    • reka kincses sagt:

      Liebe Eszter. Ich muss schon sagen, dass du mir fehlst, es ist komisch, dass du hier gar nie aufkreuzt. Es würde mich sehr interessieren, wie du die Heimat jetzt empfindest im Kontrast zu Deutschland oder Berlin. Vielleicht schreibst du mal etwas länger drüber!?
      Letztes Jahr habe ich als Recherche für meinen Spielfilm ganz viele Ungarn aus Deutschland interviewt und gefragt, warum sie ausgewandert sind. Ich kam zu der heimlichen Schlussfolgerung, dass die meisten in erster Linie vor ihren Familien geflüchtet sind…Bei mir war das wahrscheinlich auch der Fall. Zu starke Eltern. Da muss man der Ablösung nachhelfen.
      Und danke. Schön, dass ihr meinen Blog mögt und ließt!!!

  7. Boris Kálnoky sagt:

    Ohne Worte.

    • Weberin sagt:

      Ja ich auch. Ich möchte mich auch bedanken. Für das Blog. Für Geschichten wie diese. Ich bin nie vertrieben worden, ich bin bis heute in dem Land, in dem ich geboren wurde, und vermutlich sind Geschichten wie diese deswegen für mich ebenso wichtig wie für Eszter z.B.

      • reka kincses sagt:

        Liebe Weberin, es freut mich wenn´ s dir gefällt.
        Ich habe mich selbst aus meiner Heimat vertrieben, besser gesagt habe ich nach all der Enge im kommunistisch abgeriegeltem Land das Weite gesucht. Mein Instinkt sagt aber, dass das Ei (zumindest das Weltei) vor dem Huhn da war (um mal eine klare Entscheidung zu treffen) und mein Gefühl der Heimatlosigkeit der Grund ist weshalb ich abgehauen bin, und nicht das Ergebnis davon.

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