Kupi

„Woran erinnert dich dieser Puff hier?- (auf ungarisch Kupi) –  fragt meine Freundin K. die Frau mit der schönsten Nase, lang und krumm, wie ein kaukasischer Bergzug – sie hat auch armenische Vorfahren, wie ich – und die wildesten Locken, schwarz-braun, und den größten Busen – diese Busen haben schon ganze Großfamilien ruiniert. Und ja, „dieser Puff“ erinnert mich an Vieles, an Partys die wir beide zusammen feierten, meine Freundin K. und ich, sie immer vorne dran als Galionsfigur. Die ganze ungarische Literatur kam zu ihren Geburtstagen um sich besinnungslos zu saufen und zu tanzen bis zur Ohnmacht und sich zu verlieben und Ehe zu brechen um danach zu weinen, gemartert vom schlechten Gewissen, die Ehefrau grade noch rechtzeitig vom Seil abzuschneiden – um danach Kinder zu zeugen. Und einen Roman darüber zu schreiben. Oder ein Gedicht. Nichts kann gut gebildete Männer so in Aufruhr versetzten, wie ihre Nase, ihre Busen, die strammen Oberschenkel, das Lachen laut und schrill, wie Wiehern von fünf Pferden. Keine Staatskrise, keine nahende oder abklingende Diktatur, keine toten Roma oder erschlagenen Dorflehrer, Verarmung, oder Turbokapitalismus, können ihre Herzen so zerreißen, zerquetschen, wieder zusammensetzen, heilen, wie die Reize der K.

Es gibt berühmte Romane von zukünftigen Literaturnobelpreisträgern mit „K.“ als Hauptfigur – natürlich mitten in einer Zigeunerparty.

Als ich mit einem kleinen Rucksack von Cluj nach Deutschland zog, blieb K. alleine zurück. Ich hatte alles da gelassen, meine Bücher, meine Platten und Kleidern. Freunde und Fremde kamen vorbei, jeder nahm etwas mit.  K. sah Jahre lang immer-wieder Frauen auf der Straße, die meine Sachen trugen. „Das war der längste Abschied der Welt“- sagte sie  später.

In den letzten fünfzehn Jahren hat sie mich nur einmal besucht, zu meinem 30-ten Geburtstag. Sie kam mit dem Bus aus Budapest angefahren mit vierzig Freunden, einen Zigeunerband und zwei Busfahrern am Rande des Nervenzusammenbruchs. Im Wohnzimmer meines Zukünftigen fielen die Leute halbtot zu Boden und schnarchten bald.

Am nächsten Nachmittag gegen drei fingen die Zigeuner ohne Vorwarnung zu spielen an. Einfach so, weil die Sonne schien und der Schnaps wirkte. Wir glitten grade mit dem Schiff durch das Berliner Regierungsviertel.  „Schau mal Réka„ – sagte jemand – „deine Familie benimmt sich schon wieder“  Mein Vater, meine Schwester und K., waren wild am Hüpfen, Klatschen und „Hujjujuj“ rufen.  Die Menschen blieben am Ufer stehen, winkten uns zu und wir winkten zurück. Dann standen alle gleichzeitig auf und es brach der wildeste Tanz aus, den ich je erlebt habe. Es dauerte zehn Stunden lang ohne Unterbrechung.  Die kulturellen Unterschiede wurden weggetanzt, niedergetrampelt mit Schnaps weggespült.

Irgendwann bat uns der Kapitän den Takt zu wechseln, sonst ginge das Schiff unter.

Wir fuhren bis Potsdam und weiter hinaus, die Berliner Schleusen schlossen hinter uns, der Mond stieg auf, meine zukünftige Schwiegermutter winkte vom Havelufer mit Fackeln.

Gegen Morgen wurde es kalt, die Leute lagen in decken Gewickelt überall rum und zitterten.  Ein besoffener Deutscher beschimpfte plötzlich die Roma und schmiss ihre „Kanna“, die Trommel ins Wasser. Einer von den Gipsys zückte sein Messer. Während mehrere westliche Pazifisten mit dem Mann zu argumentieren versuchten, ging K. dazwischen und brüllte: haltet das Schiff an, wir müssen den Deutschen rausschmeißen sonst bringen sie ihn um. Wir hielten und stellten den Mann, irgendwo in der Pampa unter einem wunderschönen Baum ab.  K. hatte es verstanden einen Konflikt von historischer Tragweite pragmatisch zu lösen.

Eigentlich trägt K. den Namen einer indischen Rachegöttin. In ihrer ersten Hand hält sie einen abgeschlagenen Schädel, in den zweiten einen Blutigen Säbel, den dritten habe ich vergessen. Jedenfalls formt ihre rechte Hand den Zeichen des Trostes und des Segens.

Im Angesicht ihrer eigenen Brutalität sagt sie uns: “fürchtet Euch nicht.”

 

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7 Antworten auf Kupi

  1. than the same period last year 72

  2. kurt sagt:

    hallo reka,
    wo fährt denn dieser bus lang,wohin oder ich mein
    wo gibts denn die fahrkarten?..hihi…
    macht spass hier zu schnüffeln..

  3. Sherry sagt:

    Den Text habe ich mit der Musik zum Video mit den Augen runtergetanzt. K. erinnert mich an jemanden. Ihren Busen hätte ich gerne gesehen.

  4. Boris Kálnoky sagt:

    Réka ich scheue mich das zu verraten – aber nach dem Video alles schon online beglotzt, trotz Megaarbeits- und Kinder- und Schwiegermutterstress. Nur szomoru vasárnap mit amerikanischer Sängerin enttäuschte mich, dass muss eine ungarische Band besser und auf ungarisch können.

  5. Réka Kincses sagt:

    Lieber Boris,
    Die Band (oder das Projekt) heisst “Budapest Bár” und ich mache gerne Werbung für sie, weil ich sie super finde. Da haben sich Gipsy Musiker mit ungarischen Alternativen zusammengetan um unter anderem das ungarische Chansonkultur der 20-er 30-er Jahre wieder zu beleben. Ich kann noch “Szívemben bomba van” (In meinen Herzen tickt eine Bombe) oder “Stux” empfehlen, alles auf Youtube zu finden unter “Budapest Bár”. Viel Spass!

  6. Weberin sagt:

    nicht nur das Video. Ich bin vernarrt in diese Texte.

  7. Boris Kálnoky sagt:

    Das Video ist soooo…. ich kenne solche Worte ja eigentlich nicht aber einfach geil.

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