Leider

Leider habe ich seit einem halben Jahr keinen Blog mehr geschrieben.

Ich verbrachte die meiste Zeit in meiner alten Heimat, schrieb und inszenierte ein Theaterstück. Leider machte das, trotz Widrigkeiten und Konflikte einen so großen Spaß, dass mein angeschlagenes Liebesverhältnis zu Deutschland seinen letzten Dolchstoß erlitten hat.

Ich habe jetzt die Wahnidee, dass jeder, der etwas gelernt, Wissen und Erfahrungen gesammelt hat, das früher oder später nach Hause bringen muss. Die Heldenreise endet immer mit einer Rückkehr, der Held bringt das Elixier nach Hause. Das ist in jedem Märchen so, in jedem Mythos und so steht es auch im Dramaturgiebuch. Wenn das nicht stattfindet, dann ist entweder der Held tot, oder die Geschichte schlecht.

Ich lasse die Kreise schließen, sonst drehe ich mich im Kreis. Ich schaue nach unten.

Auf der Straße liegt kaltes, dunkles Wasser, Schlammspuren, an den Füssen Billigware, immer gründlich geputzt aber kein Design, kein feiner unsichtbarer, arschteuerer Stil, nix mit Zeit Magazin und „Entdeckungen der Woche“, statt dessen billige und politisch unkorrekte Massenware,  es riecht nach China und Indien, in den Köpfen nach einer nie hinterfragten Identität, die langsam dahinschmilzt, in ihre Einzelteile zerlegt wird, vakuumgegart, aufs Trockeneis gelegt, als Eisbein flüssig gemacht, als Kartoffelpüree lila eingefärbt.

Keine Alchemie. Molekularküche. Nur die Form ändert sich, der Inhalt bleibt.

Der Weg vom Theater nach Hause ist kurz, wie alle Wege. Das kleinstädtisch enge, kleine, überschaubare,  das dumme, vorurteilbehaftete, engstirnige, das liebe ich. Die Fehler die nie verziehen werden, der Argwohn, der einen nie verlässt,  die Kneipen, immer von den gleichen Leuten gefüllt, die mittlerweile Küssdiehand grüßen, all das gibt meiner Existenz die nötige Schwere um mich wohl zu fühlen. Kleinstadt ist, wenn man siebenundzwanzig Jahre lang nicht zum Geburtstag eingeladen wird, weil sich damals der Freund der besten Freundin, der Ehefrau des Gastgebers in einem verliebt hatte. Das ist Tradition.

Jeden Abend sitze ich in der Kneipe, wie vor siebenundzwanzig Jahren. Meine Kinder habe ich in großelterlicher Obhut gegeben, also abandonniert. Es ist die Hochphase der Arbeit, wir proben von morgens bis abends und sitzen dann bis morgens in der Kneipe. In meinem Theaterstück geht es darum, wie Mütter ihre Kinder unglücklich machen, indem sie, sie alleine lassen. Ich frage mich, ob mein Sohn schon angefangen hat seinen Theaterstück zu schreiben. Oder zumindest zu zeichnen als Comic. Die Tochter kann ja noch nicht sprechen.

Ich vermisse die Kinder nicht, das ist eine erschreckende Nachricht. Ich bin aber nicht erschrocken. Denn ich bilde mir ein,  immer jünger zu werden. Die Leute, die mir am Anfang noch küssdiehand gegrüßt haben, machen mir mittlerweile den Hof.

Es soll dir egal sein, was ich von dir denke. - schreibt er, ein super Schauspieler, kein Adonis, aber irgendwie rührend.

Warum?

Weil ich nicht derjenige bin, der dich küsst.

Du küsst doch jede.

Aber keine Ehefrauen, mit zwei Kindern.

Das ist sehr ehrenwert von dir. Und überaus weise.

Ich liebe dich…Na ja.

Was heißt  „na ja“?

Nichts. Es ist ein Füllwort.

Aha…Bist du noch da?… Bist du jetzt in Depression verfallen?

Nein, ich trinke Wein mit meinem Mitbewohner.

Wie viel habt ihr schon getrunken?

Zwei Flaschen. Jeweils.

Ach so.

Verlasse deinen Mann und brenne mit mir durch.

In Indien könnte ich deine Mutter sein.

Na und? Ich verspreche dir, dass ich bei dir bleibe, bis du fünfzig wirst.

Das finde ich eine super Aussicht. Scheidung, drei unglückliche Kinder und dann mit fünfzig alleine. Gefällt mir.

Leider war es zu Hause sehr schön. Es ist herrlich von Besoffenen umgeben zu sein und sinnloses Zeug zu reden. Sich große Gefühle einzubilden, wo eigentlich nichts ist. Dummheiten zu machen, Fehler. Sich masslos daneben zu benehmen. Skandal zu verursachen. Am nächsten Tag enttäuscht zu sein, verkatert, unglücklich, voller Weltschmerz. Dazu Tom Waits hören, Zigaretten rauchen und so viele Kaffees trinken, bis einem schlecht wird. Das gefällt mir sehr gut.

Leider bin ich jetzt wieder in meinem sehr vernünftigen Leben zurück und habe auch schon einen Lebkuchenhaus gebacken. Und einen Blog geschrieben. Wieder mal. Obwohl, viel Sinn, macht das auch nicht.

 

 

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6 Antworten auf Leider

  1. Leni sagt:

    Was du hier schreibst, macht Lust auf Leben, denn genau das ist es: Ein Stück wahrhaftiges Leben!
    Und ja: Man muss nach Hause tragen, was man zu bieten hat!
    Leben ohne Zensur, Leben ohne intellektuelle Schranke. Solange du dir das “Einfache” bewahrst, bist du eine ganz Grosse! :-)
    Mit einem aufmunternden Gruss von einer, die schaut, wo du hingehst.

  2. Sonja sagt:

    Anheimelnd wahrhaftig hier!

  3. Baumfee sagt:

    Du schreibst so intensiv, dass mir gar nicht aufgefallen ist, dass es schon so lange her ist, seit ich von Dir las…

  4. Katika sagt:

    Liebe Réka,
    Es freut mich, dass du dich meldest und wieder Nachricht von dir gibst, in diesem Blog. Gerne wäre ich im Theater dabei gewesen, war aber leider nicht möglich.
    Ich kenne deine eben beschriebenen Gefühle nur zu sehr.
    Ein Tag in der Heimat heilt die unruhige Seele, obwohl dort nichts mehr so wie früher ist – du auch nicht. Aber die alten Bilder, Geister, Gefühle und Gerüche leben erneut auf und drängen wie aus einer verschlossenen Flasche – die Flaschengeister der Vergangenheit. Und dann wieder nach Hause angekommen, kommst du zur Ruhe, in deinem geordneten Leben, wo es warm und sicher ist – Flasche wieder gut verschlossen, die Geister gehen schlafen.
    Zuhause ist, wo du nicht ersetzbar bist. Heimat ist, wo du nicht egal bist. Manchmal überschneiden sich die Orte und die Begriffe.
    Was sollen wir nur tun? Sollen wir die Flasche ins Meer werfen? Oder sie hoch oben in der geheimen Kammer eines imaginären Bergschlosses aufbewahren, wo unseren Töchtern unter Todesstrafe nie der Eintritt gewährt wird?
    Ich bin momentan in einer Phase meines Lebens, wo ich 25 Jahre alte, vergilbende Bilder herhole und sie per Luftpost 7000 km weit weg nach Übersee schicke, damit ich sie mit Sicherheit nie wieder sehen kann – zum Zerschneiden habe ich keinen Mut.
    Ich lese Bücher, in denen ich einige Sätze vor 25 Jahren unterstrichen habe – und heute würde ich dieselben Sätze wählen. Das Buch habe ich damals nicht zu Ende gelesen, jetzt werde ich aber schon.
    Ich höre Musik, die mich vor 20 Jahren verzaubert hat – um dann nie wieder gehört zu werden, bis heute.
    Ich liebe einen Mann, den ich vor 20 Jahren hätte kennenlernen sollen. Damit das Buch zu Ende gelesen wird, die Musik weitergehört wird, und die alten Bilder heute noch stolz die Wände verzieren.
    Liebe Flaschengeister der Vergangenheit, jetzt weiss ich schon: ich hätte Euch nie wegschliessen sollen, Euch nie die Freiheit berauben sollen. Ich hätte meine Träume nie wegschliessen sollen.

  5. Das ist mein Weihnachtsgeschenk. Endlich wieder böse Worte von Réka.

  6. Ute sagt:

    Liebe Réka.

    Ich habe schon darauf gewartet, wieder etwas von dir zu lesen.

    Dass du gleich so weit weg warst, habe ich nicht geahnt.

    Bist du deinem dämonisierten Schatten begegnet?
    Gibt es eine Rückkehr auf dem Weg des Helden?
    Oder ein Auftauchen aus der Unterwelt mit dem Gral in der Hand?

    Was ist jetzt dein Gral?
    Ein voller Aschenbecher?
    Argwohn, Suff, zu viel Kaffee?

    Das klingt für mich wie Schattenboxen.

    (Sollte das jetzt irgendwie besserwisserisch klingen: entschuldige bitte.
    Ich weiß gar nix, ganz ehrlich. Ich versuche nur, zu sagen, was ich fühle.)

    Ansonsten fehlst du mir.
    Egal in welcher Station deiner Reise du dich gerade befindest,
    du hast bei mir einen festen Platz. Wenn du willst.

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