Blöde Mama, fahr zur Hölle! – oder die Befreiung aus der kosmischen Sahnetorte

Mein Sohn brüllt “Blöde Mama!” und ich finde, das ist auch gut so. Wer die Mutterschaft kündigt, muss das auch abkönnen. Und ich kann das ab. Er sagt das immer mal, wenn ich meinen Willen durchsetze.

Ich habe meine Mutter sogar geschlagen. Ich war vierunddreißig und hochschwanger. Meine Mutter, gerade zu Besuch in Berlin, tauchte Abends in der Schlafzimmertür auf sagte:  ”Dein Mann ist jetzt bei mir zu Hause und veranstaltet Chaos und ich darf dann ackern, um das wieder zu richten.” Mein Mann war seit Wochen in Rumänien um ein Landhaus selbst zu renovieren, damit wir den Sommer mit dem Neugeborenen dort verbringen können. Er war derjenige der geackert hat, damit meine Mutter eben nicht ackern muss. Der Grund für die Bemerkung meiner Mutter war, wie so oft in unserem gemeinsamen Leben, vollkommen unersichtlich. Ausser, dass sie jemand ist, die in regelmässigen Abständen Ärger haben möchte, gab es wahrscheinlich auch keinen anderen Grund.

Ich jedenfalls sprang ohne Nachzudenken aus dem Bett und verpasste ihr eine ordentliche “Halssuppe”. So nennt man im ungarischen einen geziehlten Schlag auf dem Nacken. Meine Mutter ist einen Kopf kleiner als ich. Sie schaute mich entsetzt an und sprach, nicht klar zu wem: ” Jessus, sowas habe ich no nie gesehen”. Ich verpasste ihr noch einen Schlag. Ich glaube die Schwangerschaft hob jegliche Barriere in mir auf, ich verspürte mörderisch Wut, als wäre jede einzelne Erniedrigung und Schikane der letzten vierundreißig Jahre für mich auf einmal spürbar geworden.

Diese Wucht der Gefühle überraschte uns beide. Meine Mutter ergriff die Flucht. Sie drehte sich um und rannte aus dem Zimmer, richtung Küche. Ich hinterher. Ich schlug weiter auf sie ein und brüllte unartikuliert. Als wir die Tür zum Flur erreichten, drehte sie sich plötzlich um und hielt meine Hände fest. Ihr Griff war stark ich konnte meine Arme nicht mehr bewegen. Sie sagte “Meine liebe kleine Tochter, hör auf! Beruhige dich! Es tut mir Leid, ich habe dich provoziert!” Sie sprach, anders als zuvor, mit einer fester Stimme, ohne auch nur einen Spur von beleidigt sein.

Die Wut schwand sofort, mir kamen die Tränen. Meine Mutter nahm mich in den Arm, ich weinte vollkommen aufgelöst. Ich spürte, dass sie mich, meinen Schmerz, dass erste mal im Leben wirklich verstand und die Verantwortung als Mutter übernahm. Dass sie mich nicht verurteilte, nicht bekämpfte, dass sie sich nicht als Opfer fühlte. Sie hatte mir ihre Größe gezeigt, ihre Stärke. Die Ordnung zwischen uns war auf Anhieb hergestellt. Wer hätte gedacht, dass die Schläge das bewirken werden. Ein Tabubruch sozusagen. Und nicht die tage-, monate- jahrelangen Gespräche darüber, was falsch gelaufen ist. Am nächsten Tag entschuldigte ich mich bei ihr. Sie lächelte und sagte: “Macht nichts, wir erzählen die Geschichte einfach niemandem, das würde keiner verstehen. Aber ich verstehe dich… Ich habe meine Mutter auch mal geschlagen.”

Das war der Tag an dem meine lang andauernde Pubertät endete.

“Blöde Mama”, das ist also das Mindeste, was eine Mutter abkönnen sollte, ohne beleidigt zu tun, ohne zu leiden, ohne sich als unegerecht behandelte Märtyrerin aufzuführen. Eine Mutter muss weder immer recht haben noch unantastbar sein. Sie soll nur immer und um jeden Preis die Stärkere bleiben. Es gibt nichts Schlimmeres auf dieser Welt als eine chronisch und erbittert liebenswürdige Mutter, eine die immer versteht und immer frei lässt. Die nie vorwirft und nie konfrontiert, die nie ungerecht wird, die sich nie schuldig macht. Eine, die über Jahrzehnte hinweg lächelt und jedem Scheiss mit Verständnis begegnet. So eine Mutter ist wie eine überdimensionale Sahnetorte in der das Kind zur Geburt hineingefallen ist und nie wieder rauskam. Sie verweigert dem Kind was elementar Wichtiges: sein Menschenrecht auf Wut.

Ich hasse die Sahnetorte. Immer lächelnde, sanfte Frauen lösen bei mir Mordgedanken aus. Ich möchte der Jungfrau Maria in den Arsch treten um sie endlich wütend zu sehen. Die Alleinherrschaft der Jungfrau Maria ist vorbei. Die archaische Göttin ist längst wieder aufgewacht. Kali Durga verrichtet ihr Werk und wird alles zerstören was alt ist und verlogen. Wer noch nie in seinem Leben “Fahr zur Hölle, blöde Mutter” geschrien hat, sollte es spätestens heute tun. Zum Hörer greifen, machen. Und er wird spüren, dass was in Bewegung kommt.

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4 Antworten auf Blöde Mama, fahr zur Hölle! – oder die Befreiung aus der kosmischen Sahnetorte

  1. Boris sagt:

    “Ausser, dass sie jemand ist, die in regelmässigen Abständen Ärger haben möchte, gab es wahrscheinlich auch keinen anderen Grund.”

    Der Apfel fällt nie weit vom Baum? Übrigens, Du bist die begnadetste Erzählerin, die ich kenne, ich wünsche mir von Dir schöne Geschichten. Wo sich der Drache in Gold verwandelt… Vielleicht einen extra Blog dafür? Hier hat das ja wohl keine Chance.

    • reka kincses sagt:

      Die Erlösung der Welt wird eine alchemistische sein – hat mir einer meiner Lieblingslehrer gesagt, und daran glaube ich auch. Die Wut hat sich in Liebe verwandelt, in dem Moment wo sie angenommen wurde. Das ist die kleine Alchemie des Alltags, und das steckt in dieser Geschichte für den Leser, der offen dafür ist -:)
      In Liebe, dein Drache.

  2. Anja sagt:

    Liebe Réka,
    meine Schwangerschaft räumte auch mit meiner schlechten Beziehung zu meiner Mutter auf. Vielleicht weil man in diesem Zustand sowieso die Pubertät verlässt und alte Wunden und Ungeklärtheiten verabschiedet um ein neues Leben ohne Altlasten zu beginnen. Da ich die Schwangerschaft bereits alleine verbrachte, hatte ich unheimlich viel Zeit die alten Muster meiner Familie unter die Lupe zu nehmen und zu verändern bzw. nicht mehr an dem Wusch der Veränderung zu scheitern. Bei manchen Situationen stellt man fest, dass man sich selbst ändern muss. Wenn ich “Lupe” sage, dann war es in dieser Zeit mindestens eine 1.000-fach Vergrößerung. Es ist die Zeit der Übertreibungen sowohl im positiven als auch im negativen. Ich wollte meinem Sohn unbedingt diese kranken Muster unserer Familie ersparen und eine “Grundreinigung” durchführen. Ich habe in der Zeit mal zwei Wochen nicht mit Ihnen gesprochen, da mein vorhergehender Vortrag über meine erwünschten Veränderungen nicht verinnerlicht wurde bzw. keine Umsetzung stattfand. Ich befand mich also im Streik. Das war überraschender Weise total erholsam. Ich hätte meine Eltern auch ab und zu am liebsten geschlagen. Aber warum? Ist es nicht eher die Hilflosigkeit, die uns zu solchen Taten drängt? Wie Deine Mutter hatte meine Mutter es auch drauf einfach ohne Grund “Stunk” zu machen. Immer wenn ich mich wieder “sicher gefühlt habe” dann hat sie es geschafft innerhalb von Sekunden einen Streit vom Zaun zu brechen, den ich nicht verstand und bei denen mein Vater schon immer sagte “man kann Euch zwei keine Minute alleine lassen. Was ist denn jetzt los?”
    Vielleicht haben wir unseren Müttern aber auch oft nicht das Gefühl von Liebe und Beständigkeit gegeben? Auf jeden Fall bringt eine Schwangerschaft anscheinend nicht geahnte Heilungskräft in Familien. Ich verstehe mich mit meiner Mutter jetzt besser als in den letzten 22 Jahren und genieße das sehr.

    Ich finde Deinen Beitrag wieder ganz toll, vor allem weil Du ein Tabu gebrochen hast. Schöner hätte ich es jedoch gefunden wenn Du die Jungfrau Maria da raus gelassen hättest. Sie hat wohl eher einen Symbolcharakter und ist mit jenen Frauen, die Dich so wütend machen, nicht annähernd zu vergleichen. Glaubensfragen sollten in diesem Forum nach meinem Geschmack nicht diskutiert werden.

    • Réka Kincses sagt:

      Liebe Anja,

      Danke für Deine Antwort. Die Jungfrau Maria ist in dem Fall nicht gemeint als das Symbol des Göttlichen, sondern als ein Bild der Scheinheiligkeit, als subtiler Rollenzwang.

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