Ein schöner junger Liebhaber fürs neue Jahr

„Auf den ersten Zettel schreibt ihr auf, was ihr unbedingt dieses Jahr noch loswerden wollt, “ – erkläre ich eifrig– „Was auf den zweiten kommt, das sage ich später“. Wir sitzen an unserem viel zu niedrigen, aber dafür sehr schönen Küchentisch, meine Mutter, mein Mann, mein Sohn und ich. Jeder von uns hat zwei Zettel vor der Nase und verschiedene Stifte.

Es ist der letzte Tag des Jahres, Weihnachten hinter uns, Sylvesterparty vor uns, ganz viel Knaller besorgt für den Sohn, Neujahrsfeuer vorbereitet, Getränke eingekauft. Seit Wochen geht es nur um Familienbesuch, Plätzchen backen, Lebkuchenhaus basteln, Adventskranz selber machen, Nikolaus spielen, Girlanden aufhängen, Kerzchen anzünden, Weihnachstengel mimen, schief singen und das auf zwei Sprachen. Familienglück bis der Arzt kommt.

Meine Mutter sitzt gelangweilt da und schaut zerstreut auf ihren Zettel. „Das negative, die Probleme, die du hinter dir lassen willst“ – sage ich extra noch mal für diejenigen mit schwacher Auffassungsgabe, was in dem Fall nur meine komplett desinteressierte Maman ist – „ das kannst du jetzt aufs Papier bringen, und dann zünden wir ein großes Feuer und verbrennen es“

Meine Mutter glaubt nicht an Rituale. Ich im übrigen auch nicht. Aber Sylvester so ganz profan hinter uns zu bringen, das alte Jahr fallen zu lassen wie ein dreckige Socke, das finde ich auch zunehmend öde. Überhaupt dieses immer gleiche Leben, wo eigentlich nur die Jahreszeiten wechseln und die Dekoration, ohne einen Moment der Besinnlichkeit, das finde ich sehr langweilig. Seit ich „Das Heilige und das Profane“ von Eliade gelesen habe, weiß ich das Festtage eigentlich nach einer anderen Zeit -Raum  Gesetz ablaufen können. So war das zumindest früher oder woanders, als Gott noch nicht mausetot war. Ein wirkliches Fest hob die Linearität der Zeit auf, die „Waagerechtigkeit“ , sie wurde Senkrecht, sie richtete sich auf  und wurde zum Kanal zwischen Oben und Unten, zur Verbindung zwischen Gott und all den Generationen die schon immer das gleiche Fest gefeiert haben.  So habe ich das zumindest verstanden mit neunzehn, als ich das Buch las, und versuchte mich seitdem zu Weihnachten und  Sylvester zwischen Erde und Himmel aufzurichten um zum Kanal zu werden, und der Banalität des Lebens für einen Moment zu entkommen. Das, und das kann ich mit Sicherheit sagen, hat noch nicht geklappt.  Nicht ohne einen beträchtlichen Schnaps- oder Rotweinpegel. Mit anderen Drogen habe ich mich nie ausgiebig befasst.

Meine Mutter nimmt also einen hellgelben Stift in die Hand und kritzelt abwesend herum, während mein Mann fleißig Notizen macht. Er scheint es sehr genau zu wissen, was er dieses Jahr, also heute noch loswerden möchte. Auch der Sohn spitzt energisch einen schwarzen Stift an.

Wer nicht schreiben kann, darf auch malen? – fragt er- „Klar mein Schatz“ – sage ich, froh darüber, dass er engagiert ist, intelligent und fleissig, dass er freiwillig zeichnen will und überhaupt eine sehr positive Lebenseinstellung hat.

Ich schließe die Augen, um mich zu konzentrieren, und schreibe das erste Wort auf, das, was mir negativ aufstößt, wenn ich an mich denke:

Egoismus

Narzissmus

Ständiges Gejammer…

Von Selbstkritik halte ich überhaupt sehr viel,  denke ich, so kommt man schließlich weiter. Und das mein Mann davon so wenig hat, fand ich schon immer sehr bedenklich.

Auch meine Mutter kritzelt irgendwas aufs Papier. Dann hört sie auf und studiert ihren Stift. Dann das Papier. „Man sieht nix“ – höre ich sie sagen.

„Nimm doch eine andere Farbe!“ – Sie hat es mit Hellgelb auf weiss versucht.

Ich schiele rüber zum Sohn. Er zeichnet mit energischen Bewegungen.  Ein Frauenkopf wird sichtbar mit langen Haaren und zornigen Augenbraunen. „Ich habe gar keine langen Haare“ – denke ich und bin beruhigt. Er zeichnet weiter Körper, Hände.

„Wer ist das?“ – frage ich, während mein Mann seine schlimmen Dinge durchnummeriert.

„ Das bist du Mama“ – anwortet er  -„ Wenn du böse bist. “

Er zeichnet die zusammengezogenen Augenbrauen noch mal fett nach. Ich sehe aus wie eine  Furie.

„…Ich habe aber gar keine langen Haare.“ – versuche ich es mit einem Einwand.

„Doch. Bei mir auf der Zeichnung hast du welche.“ – sagt er. Die künstlerische Freiheit sozusagen. Meine Mutter ist mittlerweile auch wach geworden und beobachtet die Zeichnung des Sohnes interessiert.

„Seeeehr spannend“ – sagt sie, mit einem langen „eeeeee“, glücklich wie eine Ziege vor dem Futtertrog. Den „böse Mutter“-Status ist sie schließlich soeben losgeworden.

„Das ist Mama, wenn sie sich streitet“ – sagt mein Sohn noch mal, und zeigt die Zeichnung herum, damit das auch jeder, sogar der ab- und an vorbeischleichende Kater versteht, worum es ihm geht, was er heute definitiv loswerden und verbrennen möchte.

Erst als er eine zweite Gestalt zu zeichnen anfängt, atme ich kurz durch.

„Und wer ist das?“

„Papa…“ – sagt er.

„Der böse Papa. Wenn ihr Euch streitet“ – sagt er noch mal.

„Immerhin ist Papa auch mal böse“ – denke ich erleichtert, statt ihn wegen seiner bösen Eltern zu bemitleiden. Doch dann fällt mir was ein: Der Sohn, der glaubt ja noch fest an Rituale. Wenn er heute seine bösen, streitenden Eltern verbrennt… Dann ist nächstes Jahr endgültig futsch mit seinem Glaubem. Dann ist nix mehr mit Neujahrsritual und der senkrechten Zeit. Dann muss er auch ein ödes Leben fristen in der endlosen Profanität zwischen Christbäumen, Nikolausmützen und Tiefkühlregalen. Und das nur, weil seine Eltern es nicht geschafft haben, von Heute auf Morgen alle Streiterei hinter sich zu lassen, und das für immer.

Ich schaue hoffnungsvoll auf den zweiten Zettel. „Hier schreibt ihr fünf Wünsche auf fürs neue Jahr“ . Ich hoffe, dass zunindest bei diesen Wünschen etwas dabei sein wird, das später den Anschein macht, in Erfüllung zu gehen. Als sie fertig sind, schmeißen wir die Wünsche in einem Hut, und jeder zieht einen. Das habe ich auch irgendwo abgeguckt, das ist die Überraschung dabei. Man kriegt die Wünsche von jemand anderem. Manchmal passt das viel besser.

Der Sohn malt fleißig seine fünf Punkte auf. Laserschwerter, Star Wars Hefte und so weiter. Doch als er hört, dass wir die Zettel mischen und aus dem Hut ziehen, wird er wütend. Das ist doch nur ein Spiel und Spaß, erkläre ich ihm.

Er zieht und schaut misstrauisch auf den Zettel. Er ist nicht seiner, sondern von seiner Oma. Ich soll vorlesen:

Wünsche für das neue Jahr

1. Ein junger Liebhaber….

Meinen Sohn kommen sofort die Tränen.

„Das sind Arschlochwünsche. Ich will nicht Omas Arschlochwünsche.“

Ich will schnell weiterlesen, aber als nächstes steht dort:

2. Eine erfolgreiche OP

Das überspringe ich.

3. Ein schöner Ausflug mit der Familie

Als ich das vorlese, wirft sich mein Sohn auf den Boden und brüllt, während mein Mann ständig „Einen jungen Liebhaber“ murmelt, um seinen Lachanfall zu unterdrücken. Mist. Jetzt lachen wir ihn auch noch aus. „Ein junger Liebhaber“ – so ein Malheur, das eine 70 Jährige sowas schreibt, und  ausgerechnet der Fünfjährige den Zettel zieht… damit hat auch keiner gerechnet. Nicht nur nicht Heilig, sondern auch noch Pädagogisch vollkommen daneben – denke ich noch, bevor ich endgültig aufgebe. Wir lachen alle, krampfhaft und laut, mit Tränen in den Augen, während der Sohn auf den Boden liegend und brüllend den „Pfui, Arschlochzettel“ in tausend kleine Stücke beißt und reißt. „Ich will mein Laserschwert zurück!“ schreit er noch. Und so liegen wir lachend und weinend und brüllend  und schreiend an der Schwelle zum neuen Jahr.

Es wird noch eine Weile dauern bis wir uns aufrichten um zum Kanal zu werden. Oder ist das doch der liebe Gott, der die ganze Zeit Witze macht?

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8 Antworten auf Ein schöner junger Liebhaber fürs neue Jahr

  1. Zsóka sagt:

    ich wünsche mir auch ein junger LIEBHABER!
    eine frau mit 70 ist viel jünger als ein mann mit 50, und sie hat wenigstens noch fantasie und lachen kann sie auch noch
    die zettelidee ist gut, leider muss ich mit dem ausprobieren bis sylvester warten, lg

  2. glumm sagt:

    was soll man sagen.. ich will auch ein laserschwert!

  3. Pingback: Woanders – diesmal mit Landkarten, Reisen, Amrum und einem Taxi. Und Iron Maiden | Herzdamengeschichten

  4. hehehe super sache!
    ich wünsche euch recht verspätet ein aufgerichtetes neues jahr voller laserschwertern, liebhabern und genüsslich streitenden eltern!

  5. Eva sagt:

    hi Réka, vor kurzem hatte ich Schlafstörungen. Irgendwie war ich immer schon um fünf hellwach. Alles kein Problem mehr, nachdem ich Deinen Blog entdeckt habe. Denn so lag ich jeden Morgen mit Smartphone im Bett und hab nach und nach all Deine Geschichten gelesen. Ich musste heulen und lachen – und jetzt bin ich Fan. Schreib bitte weiter, Dein Blick auf Dein Leben ist großartig!

  6. Pingback: Feedreaderperlen IV | cloudette

  7. Beatrice sagt:

    hahaha,
    vielleicht bekommt Vince ja seinen jungen Liebhaber,
    auf die Wünsche

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