Requiem für Habsburg – ein Gastbeitrag von Boris Kálnoky

Philip zieht eine Braue hoch. „Du hast ja einen schwarzen Anzug“,
meint er anerkennend. „Noch dazu deine Größe! Schwarze Krawatte?“ Ja,
Seide sogar, der Anzug etwas zu glänzend und die Schuhe etwas zu
spitz, ich lebe in der Türkei, da nennt man das Stil. Wir kippen noch
einen Whisky, auch die Familie ist langsam so weit, und so gehen wir
trauern. Ziemlich gut gelaunt, wie ich gestehen muss, aber ich habe
mir ganz fest vorgenommen, dass ich ergriffen sein werde.

Philip hat meine Tochter Emilia an der Hand, 6 Jahre, die fünfte von
sechs; er selbst ist ohne Familie da, seiner Frau schien die Reise zu
anstrengend. Obwohl, wenn es darum geht, nach England zu reisen zu
Prinz Charles, oder zur Hochzeit von Kate und William, da ist es ihr
nie zu anstrengend, da fliegt sie sogar, obwohl sie sonst Flugangst
hat. Aber das hier ist nur Habsburg, nicht Windsor, und Beerdigung,
nicht Hochzeit, und zur Windsor-Hochzeit war kein Habsburg eingeladen,
sie aber schon.

Wir gehen zur Totenmesse für Erzherzog Otto, der 99 Jahre alt wurde
und nie die Vergangenheit verließ, und gerade deswegen die Kraft fand,
die Gegenwart besser zu machen. In Ungarn verbinden die meisten
Menschen das Ende des Eisernen Vorhangs mit seinem Namen. Ein
„Picknick“ hatte er damals an der Grenze organisiert, es wurde zu
einer Stampede in die Freiheit für Hunderte Ostdeutsche und das Ende
des Kommunismus. König von Ungarn wäre er gewesen, und Kaiser von
Österreich, wenn es die Monarchie noch gäbe.

In der Basilika allgemeines Händeschütteln mit Verwandten und
Bekannten, Philip hat da einiges mehr zu schütteln als ich, ich habe
die durchlauchte Gesellschaft nie besonders gesucht, und mein Anzug
glänzt tatsächlich ein wenig türkisch. Würde sich gut in der Disco
machen, raunt Philip mir zu, wir sitzen inzwischen im abgegrenzten
Bereich für die Habsburger Gäste, wer hier sitzt, darf nachher auch
kondolieren. Dahinter gibt es einen weiteren Block für Ehrengäste der
Kirche, und rundherum stehen Touristen und Budapester, die es sich
nicht nehmen lassen wollen, dieses letzte Erinnern an die Habsburger
Monarchie mit zu erleben. „Ich glaube ich werde ganz passend weinen“,
sagt Philip, „mir steckt eine Wimper im Auge“.

Eine Ehrengarde in historischen Uniformen schreitet gemessen auf und
ab durchs Kirchenschiff, schön ist das, noch eine gute halbe Stunde
bis es beginnt, man plaudert derweil leise und fächert sich Luft zu.
Und in einem Paralleluniversum sitzt Réka mit bei uns,  in einer Welt,
in der es ihr gelang, Philip zu manipulieren, damit er sie heiratet.
(Eigentlich passierte in der wirklichen Welt so etwas Ähnliches, nur
dass es nicht Réka war, der das gelang.) Es ist ihr zu warm, ihr
scharfer Blick notiert das Sehen und gesehen werden, denn wer hier
ist, der ist wer, zumindest in der Welt des österreichisch-ungarischen
Adels. Die Regierung ist auch da, Ungarns Präsident Pál Schmitt und
Ministerpräsident Viktor Orbán, und jede Menge Minister und
Botschafter. Wie man sich begrüßt, einander die Hände schüttelt, das
sieht fast aus, als beglückwünsche man sich gegenseitig, hier zu sein.
Réka spürt auch Unsichtbares, durch Ungarn weht ein neuer, alter,
autoritärer Geist, den sie nicht mag, und der aus dem Ritual hier
Kraft saugt, um noch stärker zu werden. Und sie gibt mir zu verstehen,
dass sie ja ganz anders ist, von armenischen Knopfhändlern abstammt.
(Sie kommt freilich aus einem ausgesprochen bildungsbürgerlichen
Elternhaus, wo niemand jemals irgendeinen Knopf verkaufte.)

Ich sehe ganz andere Dinge, ich kenne ein paar der Leute hier ja auch
etwas besser, ich sehe eine Gemeinschaft von Menschen, die Werte
teilen, die der Welt da draußen meistens fehlen. Man ist hier
katholisch und konservativ, und meint das überwiegend ehrlich, und
versucht es auch zu leben. So wie Otto es lebte; der Abschied heute
ist nur ein Abschied von ihm, nicht von der Idee, dass dies die Art
ist, wie man Mensch sein sollte. (Réka flüstert, wer genug Geld hat,
hat gut Mensch sein.)

Ein Glöcklein bimmelt, draußen dröhnen die Glocken, es beginnt. Eine
ganze Kolonne von Bischöfen zieht ein, vor ihnen die Fahnen des Hauses
Habsburg. Der Kardinal liest ein Telegramm des Papstes vor, Georg
Habsburg liest eine Bibelstelle; der Chor singt schöne Lieder.
Alldieweil ist mir zu heiß, und mir fällt auf, dass meine Gedanken
weder bei Otto sind, noch bei meinem Großvater Hugó, für den ich
eigentlich hier bin. Er ist zwar seit 56 Jahren tot, aber sein ganzes
Streben und Sehnen galt seinem „König“ Otto, und ich bin deswegen
hier, damit –so bilde ich es mir ein – Hugó es miterleben kann. Er
selbst, als es ans Sterben ging, rief Otto an, aus dem Krankenhaus,
eine Abschiedsaudienz per Telefon, um sich vom Dienst des Lebens
abzumelden. Dafür ließ er das Sterbebett ein wenig höher einstellen,
um Respekt zu zeigen. Das war 1955. Jetzt ist es Otto, der sich
verabschiedet, und nun bricht es doch über mich herein, dass eine Welt
zu Ende geht.

„Prüfen wir unser Gewissen, damit wir würdig von Erzherzog Otto
Abschied nehmen können“, sagt der Kardinal, und 800 Menschen senken
den Kopf, klopfen sich mit der halb geschlossenen Hand auf die Brust
und jeder für sich bekennt murmelnd „meine Schuld, meine schwere
Schuld“. Schuld = Pfusch am Leben, fährt es mir durch den Kopf, mein
Gott was stellt man alles an im Laufe eines Privatlebens, und auch ich
senke schuldbewusst den Kopf.

Otto selbst wird nicht hier begraben, das geschah tags zuvor in der
Kapuzinergruft in Wien, da wurde nach altem Brauch an der Tür geklopft
und um Einlass gebeten für den „Kaiser von Österreich und König von
Ungarn“, und die Antwort war: „Kenne ich nicht.“ Nochmals wurde
geklopft und um Einlass gebeten, für den „König von Böhmen“ und all
die anderen Titel Ottos. „Kenne ich nicht“. – Zum Schluss wurde er
dann nur noch als „ein einfacher, sündiger Sterblicher“ angekündigt,
da öffnete sich die Tür.

Schön war das, und der Kardinal erzählt davon, und von Ottos Leben –
wie Nazis und Kommunisten ihn gleichermaßen hassten, und er könnte
hinzufügen, dass es auch in unserer heutigen Welt genug Menschen gab,
die ihn verunglimpften, einfach nur weil er sich als Christ verstand
und als konservativ.

Zur Kommunion schwärmt ein Dutzend Bischöfe aus, die Hostien zu
verabreichen. Ich nehme Emilia mit, aber der Bischof, an den ich
gerate, versteht nicht, dass er sie segnen soll, nicht die Hostie
geben, sie ist noch zu jung; skurriler Augenblick, als ich den Wunsch
wiederhole stellt er ihr den Teller mit den Oblaten auf den kleinen
Kopf. Philip kniet bereits meditativ und gottergeben, als ich
zurückkehre, neben den Stuhlreihen, mitten im Durchgang, gut sieht er
so aus, von allen der einzige, der so frei kniet. Mein Blick verirrt
sich zu den Fernsehkameras. Und dann knie auch ich, es ist der einzige
Augenblick, für den sich eine Messe lohnt, den Geist leeren und warten
was kommt, irgendwas kommt immer. Da ist es auch schon: Ein leichtes,
befreiendes Gefühl, dass es gut so ist, dass zwar niemand so ganz bei
der Sache ist, an den Toten zu denken und an das richtige Leben; und
doch jeder ein bisschen; dass es ausreicht, wie jeder hier zwar ein
wenig Snob ist, und stolz ist, zum Kreis der Erlauchten zu gehören,
und doch auch ehrlich Mensch, der gut sein will. Und dass es gut ist,
dass das Alte vergeht, denn das Neue wird auch gut sein, wenn nur ein
wenig Glauben im Herzen bleibt.

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13 Antworten auf Requiem für Habsburg – ein Gastbeitrag von Boris Kálnoky

  1. kisbogár sagt:

    Weiss jemand warum Requiem in Sz. István Bazilika von S.E. Altkardinal Paskai und nicht von S.E. Kardinal-Primás Erdö zelebriert wurde???

  2. Réka Kincses sagt:

    Ich glaube sowieso, dass man Dinge nur loswerden kann, wenn man sie umarmt -:).

  3. Weberin sagt:

    Ein kluger Verdacht, wie ich finde. Ich merke das an einer ganz unpolitischen, alltäglichen Sache bei mir selbst, wie vermutlich alle Menschen, habe ich nie werden wollen, wie meine Mutter, habe die Fehler, die sie an mir begangen hat, nie wiederholen wollen und merke jetzt als Mutter, dass so vieles wiederkehrt, dem ich nicht davon laufen kann, dem ich mich stellen muss, was ich aushalten muss, um es dann – vielleicht – anders machen zu können.

    • Boris Kalnoky sagt:

      Ich merke es an mir auch – ein Stichpunkt beispielsweise all das Katholische in mir, da mag man noch so an der jungfräulichen Empfängnis zweifeln, es bestimmt einfach das, was man tut. Ich empfehle positiven Umgang statt Flucht – das Erbe umarmen, statt es abzulehnen, so kann man es viel produktiver umgestalten und das Gute daraus bewahren.

      • Sherry sagt:

        Ja, das ist tatsächlich eine Möglichkeit. Wenn man es umarmt, sieht man es und man kann es aktiv verfeinern, verbessern, die guten Seiten behalten, die schlechten so gut es geht, ausmerzen.

  4. Boris Kálnoky sagt:

    Widerspruch ist Leben :)

  5. Weberin sagt:

    Ich widerspreche nicht, und stimme nicht zu. Ich genieße schlicht den Einblick in mir vollkommen fremde Welten.

  6. Réka Kincses sagt:

    Lieber Boris, ich habe alles drangesetzt um eben jener Welt zu entgehen, dass mit so unglaublich viel bügeln einhergeht um von Schuhe polieren gar nicht zu sprechen.
    Und diese Welt ist nicht erst jetzt mit dem alten Otto sondern schon ganz ganz lange Untergegangen und ist Mausetot. Das neue ist allerdings auch nicht besser.
    Dein Artikel hat mich trotzdem berührt auch wenn ich Dir an jeder Stelle widersprechen kann . -:)

    • Boris Kálnoky sagt:

      Ja nur… Gibt es das, Entrinnen? Wer zu fliehen versucht, wird früher oder später eingeholt von dem, wovor er floh… nur ein Verdacht, vielleicht ist es nicht so.

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