Heimat, Sex und andere Unzulänglichkeiten

Mein Film “Heimat, Sex und andere Unzulänglichkeiten”, läuft heute , am 21 Januar um 0:15 auf ZDF. Und danach ist er 1 Woche lang auf ZDF Mediathek online zum schauen da. Ja, und ich twittere grade auf ZDF_DKF.

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Rassismus beim Biobäcker

„Wo kommen sie her?“ – fragt der ältere Herr mit weißem Zopf in zerknitterter Leinenhose und Birkenstock, unter dem Arm die Süddeutsche Zeitung.

Ich stehe hinter der Theke einer Bio Bäckerei in Zehlendorf und trage eine weiße Schürze. Auf den Regalen kleine, hässliche, schrumpelige Brötchen, die mir auch nach zwanzig Jahren Deutschland nicht schmecken werden, aber ich bin erst seit drei Jahren hier. Ich denke darüber nach, was ich sagen soll. Manchmal lautet die Antwort  einfach: „Ich bin Ungarin” was zwar stimmt, aber keine Ortsangabe ist. Obwohl ich Ungarisch als Muttersprache spreche, komme ich nicht aus Ungarn, sondern aus Rumänien.

Rumänin bin ich aber definitiv auch nicht. Wer soll das verstehen? Ungarin aus Rumänien. Ich gewöhne mich daran, dass meine Identität für die meisten Menschen ein Rätsel bleibt.

Der Mann sieht, das ich zögere, er will nachhelfen.

„ Französin?” – fragt er und seine Augen leuchten.

„…Nein” – antworte ich unsicher, heute irgendwie nicht in der Franzosenstimmung und auch noch unentschieden, welche Nationalität ich haben soll. Ich gebe mich oft als Italienerin, Französin oder Griechin aus, je nach dem wer mir gegenüber steht. Spanierin kommt auch immer gut. Selbst Armenien oder Aserbaidschan wecken reges Interesse. Das einzige, das wirkt wie eine Schachtel abgelaufene Viagra beim Gruppensex ist die Ansage „Aus Rumänien”. Das sollte man eigentlich nur sagen, wenn man sich die Leute vom Leib halten will.

Ich beobachte den Mann, wahrscheinlich hat er ein Haus in der Toskana – denke ich – er kauft ausschließlich Bio ein, ist politisch interessiert und geht immer noch manchmal zu Demos. Kaffee trinkt er keinen, um ein Zeichen gegen übertriebene Wasserverschwendung zu setzen. Er ist ziemlich selbstbewusst. Und umweltbewusst. In Afrika war er garantiert schon mal. Geldsorgen hat er keine. Er tut gerne spenden. Auch sonst hat er wenig Probleme. Außer vielleicht, dass er sich in seiner ersten Ehe wie ein Arschloch verhalten hat und seine Kinder nicht mehr mit ihm reden. Aber das sei ihnen frei gestellt, den Kindern. Und sein Papa war zu seiner Zeit ein bisschen Nazi, aber den hat er auch mal laut angebrüllt. Seitdem ist es besser. Aus der Kirche ist er längst ausgetreten. Heute ist Mülltrennung seine Religion.

“Spanien?“ – fährt er fort, und ich sehe ihm an, dass er mich heiß findet, so in der weißen Schürze.

„Ich komme aus Rumänien.” – sage ich prompt und packe ecklige Frühlingsrollen in Fettpapier ein. Und tatsächlich, sein Lächeln schwindet. Er wird ernst und macht eine kaum sichtbare, kleine Geste. Abwinken. Seufzen.

„Ach die Rumänen! DIE müssen noch ganz viel lernen, eh sie soweit sind…” – sagt er, wie ein großer Experte in Sachen Rumänien, wie einer, der sich auskennt.

Ich mag weiss Gott keine Rumänen, ich gehöre einer nationalistisch abgekapselten ungarischen Minderheit an, die Rumänen hasst. Sie kamen nämlich im Mittelalter als Knechte über die Karpaten um sich langsam zu vermehren, kulturlose Schäfer – das lernt jedes ungarische Kleinkind noch bevor es sprechen kann –  und dann kam noch die Politik dazu und zwei verlorene Weltkriege und schwupps sitzen wir Ungarn im Barbarenland Rumänien. Mein Vater hat auch gegen die Rumänen gekämpft, für die Rechte der Ungarn, und wurde aus dem Land verjagt.  Wir blieben mit einer hysterischen Mutter alleine, meine kleine Schwester fing mit neun Jahren wieder an ins Bett zu pinkeln und ich flog von der Schule. Um nur ein paar Sachen zu erwähnen.

Und doch bekomme ich jetzt Lust, diesem umweltbewussten Zehlendorfer in das schüttere Haar zu greifen und so lange daran zu ziehen bis es büschelweise von seinem Kopf fällt.  Während er eine Predigt darüber hält, was die Rumänen noch alles lernen müssen um bei seiner fortschrittlichen Demokratenrunde dabei zu sein, stelle ich mir vor, wie er beim Spazierengegen im Grünewald  auf eine Mine tritt, explodiert und die Fetzen seiner Leinenhose an den Bäumen kleben oder wie sein Hund in einem chinesischen Restaurant zu einem exotischen Gericht in Sojasauce verarbeitet wird.

„Wollen sie eine Tüte haben?” – frage ich, und der Mann nickt, während er weiterredet. Ich tue sein gesundes und völlig geschmackfreies Essen in eine Papiertüte. Er schaut mich zufrieden an. Das anfängliche Leuchten in seinen Augen ist zwar endgültig verschwunden, aber er verabschiedet sich sehr freundlich. Schließlich hat er den Standpunkt eines Demokraten vertreten und nichts Verwerfliches getan.

Und mit Rumänien kennt er sich ein bisschen aus. Das können auch nicht alle von sich behaupten.

Der Laden ist wieder leer. Ich sehe die S-bahn ein- und ausfahren. Nur selten kommt jemand vorbei. Der Besitzer, selbst ein Alt-Achtundsechziger mit langen weissen Haaren und Leinenhose, hat Krebs. Er lässt sich nicht behandeln. Er will das „alleine schaffen” mit veganer Diät. Abgemagert wie ein KZ-Häftling und gemein wie ein KZ – Wärter herrscht er  in einer genussfeindlichen Gesundheitsdiktatur über seinen kaputten, stinkenden Laden. Er war der erste Biobäcker in Berlin. Politisch engagiert. Und schwul. Jetzt gehen er und sein Laden zusammen zu Grunde.

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Kurzes Gespräch mit Gott

„Mama, weißt du, wie man mit Gott spricht?“ – fragt mich mein Sohn, ich sehe ihn über meine rechte Schulter während ich gerade das Auto rückwärts einparke, er hat seinen Gurt gelöst und steht in dem Zwischenraum, schaut mich bedeutungsvoll an, wie jemand der ein großes Geheimnis zu verraten hat, sein blaues Stirnband streift fast mein Gesicht.

Mir schießen sofort meine gescheiterten Versuche durch den Kopf, den lieben Gott mal näher kennen zu lernen, zu meditieren oder zu beten, mein Interesse an Fern-Östlichen Religionen, eine lange Indienreise mit inbegriffen, sämtliche Yoga, Tai Chi und Kung Fu Kurse, Trance Tanz Abende, meine Bewerbung an die Hochschule für Buddhistische Studien, die Sanskrit-Stunden, mein Versuch, das tibetische Alphabet zu erlernen, Hindu und Urdu, Indologie, Meister Eckhart-Lektüre auf Mittelhochdeutsch, Heilpraktikerschule, Öko-Markt. Um die endlosen Aufstellungen gar nicht zu erwähnen. Ich versuche das für einen fünfjährigen kurz zusammenzufassen und sage einfach:

“Nein.”

“Soll ich es dir zeigen, wie es geht?”

“…Ja.”

Ich mache den Motor aus und warte.

“Sag einfach” – seine Stimme wird auf einmal leise- “sag einfach: Hallo Gott, hier bin ich, du sollst flüstern…so…so” – säuselt er mit ernster Miene und ich versuche es auch.

“Hallo Gott, hier bin ich.”

Stille. Vor mir die leere Dorfstraße, nicht mal ein Hund bellet. Mein Sohn lacht verschmitzt.

“Und? Hörst du was er sagt?”

Ich schüttele unsicher den Kopf.

“Gott sagt dir…”- er hält kurz inne und horcht, bis er die Gewissheit hat – ”Er sagt: Dich kenne ich nicht.“

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Jenseits der Biographie

Neuerdings jogge ich. Das hätte ich nie gedacht. Mit schneeweißen Joggingschuhen, billig von Reebok ersteigert, in einem harmonischen, wunderschön gepflegten Wald, ohne Müll, ohne breitgetretene Pfaden voller Schafskacke, ohne herumstreuende Hunde oder besoffene Dorfsleute mit einem Hang zur Vergewaltigung, ohne zwergenhafte Außerirdische in grün, mit Glubschaugen und bodenlangen Armen, die sich später als kackende Förster entpuppen. In so einem Wald zu joggen, das gehört nicht zu meiner Biographie.

Das Leben, das ich jetzt lebe ist eigentlich sehr schön. Nur, es ist nicht meins. Das Haus, in dem ich wohne, ist das richtige. Nur, es steht in der falschen Straße.

Ich halte die Vorstellung, das man immer sein eigenes Leben lebt, für einen gefährlichen Irrglauben. Vielmehr denke ich, dass man in allen möglichen Biographien herumirren kann und dabei Leuten begegnen, Skatabende veranstalten, Glühbirnen auswechseln, Katzengras verstreuen, Wettbewerb im Armdrücken gewinnen.

Ich jogge also und bei jedem Schritt stelle ich mir vor, wie mein Hintern kleiner wird, mein Bauch flacher, wie ich immer schlanker und schlanker werde, um am Ende wieder die junge und ziemlich dünne Frau zu sein, die ich mal war, die faule Hochstaplerin, Schnapsdrossel und Taugenichts, das Großmaul mit Geniepotential, voller Abenteuerlust und mit mindestens drei Affären gleichzeitig, der Schreck aller Ehefrauen. Die wilde Osteuropäerin mit Knackarsch von dem sich gelangweilte Wessis gerne ausnehmen lassen. Und keine Mutti.

„Ich dachte, dass du nicht nur ein geniales Großmaul, sondern auch wirklich genial bist“ – sagte mir neulich eine alte Stimme aus einem früheren Leben, Typ WG-Zimmer mit Ikea- Matraze. Und natürlich kommt die Ernüchterung mit zwei Kindern und Kleidergröße 42.

Heute schenkt mir keiner mehr freiwillig Geld.  Jetzt muss ich meinem überforderten Ehemann zur Last fallen. Oder selber arbeiten gehen. Nur: ich kann nichts. Ich bin Künstler.

„Lass mal, du warst lange genug jung und hübsch“ sagte mir im Sommer meine wunderschöne voluminöse Jugendfreundin. Das hieß so viel, wie „welcome to the real world”.

Vielleicht habe ich einfach nur den Faden verloren. Ich bin in ein fremdes Leben gerutscht, so wie der Muslim in tausendundeine Nacht, als er aus purer Neugier sein Gesicht in das Wasser de Zauberers hielt.

Werde weich. Werde zart. Liebe das Zarte in Dir.

Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet. Aber ich tue so, als ob ich es wüsste. Klug bin ich immer noch. Auch mit Fett auf dem Hintern.

Wir haben jetzt eine Katze. Seit vier Tagen schon. Und ich habe sie noch kein Mal getreten.

Ich renne durch den wunderschönen Wald. Regen auf meiner Haut, die Blätter strahlen, gelbe und rote Leuchtwiesen zwischen kahlen Bäumen. Auch der November hat seinen Glanz, aber nur wer sich früh an einem verregneten Tag in den Wald traut, wird ihn sehen. Es ist ein zartes, fast unsichtbares Leuchten, wie Glühwürmchen in locker geschlossener Faust. Und der Duft von nasser Erde wäscht das Hirn.

Ich lasse die Bäume hinter mir. Vor mir schlängelt sich, zwischen kahlen Hügeln ein schmaler, fremder Weg. Die Havelländische Fahrradstraße.

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Presswurst auf Ungarisch

Ich stehe am Hang, meine Hose steckt in Oberschenkelhöhe fest, ich ziehe verzweifelt an der Rändern, zuppele, mein Hintern quillt überall drüber und leistet Widerstand während im Hintergrund ein Traktor sich gefährlich nähert. Auf der Ladefläche wackeln fünf siebenbürgische Bauern mit Strohhüten, in dreckigen Hemden und einem amtlichen Alkoholpegel so nach Feierabend.

„Kann mir bitte jemand helfen?“ – frage ich panisch meinen grinsenden Vater und meinen ebenfalls grinsenden Ehemann, die mir bei der Aktion sichtlich amüsiert zuschauen. „Das kannst du vergessen“ – antwortet mein Vater und winkt ab während mein Mann zögernd näherkommt und mich versucht mit ein paar unüberzeugten Gesten in die viel zu enge Hose hinein zu schütteln. Vergeblich. Mit einem lauten Knall geht der Reißverschluss kaputt, dann platzen die Nähte.

„Wie heißt Presswurst auf ungarisch?“ – fragte mein Mann paar Stunden zuvor. „Das gibt es nicht auf ungarisch “ – antwortete ich genervt, und ließ den Eimer tief in den Brunnen hineinsinken, bis er mit einem metallischen Glucksen endlich auf Wasser traf.

Es ist Ende September, brühend heiß in meiner alten Heimat, trocken und karg, wie in der mongolischen Steppe, die schlimmste Dürre seit 1946. In den letzten zwei Jahren hat es kaum geregnet, die Erde trägt tiefe Furchen, das Gras zerfällt zu Staub unter unseren Füßen. Keine Wolke, keine Brise, nur diese stehende, drückende, unendliche  Hitze, die ich über alles liebe, die keinen Baum hoch wachsen und jeden See austrocknen lässt.

Ich schließe die Augen, atme tief durch und lasse das eiskalte Wasser über meinen heißen Kopf fließen. Die Blicke, das Drücken des Badeanzuges, die Presswurst, alles verschwindet, ich spüre die unbewegte Luft, es riecht nach Kuhmist, verbrannter Erde und gerösteten Auberginen. Für einem Moment hören alle Gedanken auf, an dieser Schwelle zwischen Heiß und Kalt regiert das Nichts, die Landschaft dringt durch die Poren in mich hinein, die kahlen Hügel, das unendliche Unbewohnte, mit dem kleinen Dorf in der Mitte, das Land von dem ich wie verrückt geflüchtet bin, um dann ständig Heimweh zu haben, die schiefen Häuser mit Holzveranda und Heuhaufen, der Dreck, der hier keiner ist, sondern zum Leben gehört, die alten besoffenen Männer und die dicken, herzlichen und unterdrückten Frauen mit Kopftuch und hängendem Bauch. „Sie sind so schön geworden“ – meinten sie, als ich zugenommen hatte, wahre Begeisterung in den Augen, endlich bin ich eine von ihnen, mit zehn Kilo mehr auf die Rippen, ungeeignet für Großstadtschick, eine ganz normale Frau mit leichtem Übergewicht und Hängebusen. Urlaub vom gesunden Ernähren, von Diätwahn und Yogakult, von Gruppentherapie und immer reflektierten Gefühlen, von alles richtig machen. Ich tauche in das ungeschminkte Leben ein von dem Dummen und Unreflektierten, von dem Ungesunden und Unmoralischen, ich atme durch und auf in der Welt voller Makel und Schwächen, in dem Leben wo das Schicksal regiert und keiner für sein eigenes Unglück zuständig ist. Diese herrliche, ewige Kindheit im Schoße eines ungerechten und unberechenbaren Gottes, den es vielleicht gar nicht gibt. In einem Leben voller Sinn ist das Sinnlose das einzig freie, die Ausnahme, der Luxus. Vergeudete Zeit, verschwendete Lebensenergie, Hauptsache der Selbstgebrannte schmeckt. Kein Sonnenschutz, keine zwei Liter Wasser am Tag, kein Bio LPG, kein Tierschutz.

Als ich den Eimer absetze und mich umgucke sehe ich eine wunderschöne Zigunerin hinter dem Busch, in langem Rock und Kopftuch, bunt wie ein Kanarienvogel, sie schaut mir in die Augen, unendliches Staunen im Gesicht, eine Frau halbnackt, die sich eimerweise kaltes Wasser über den Kopf kippt.

Mein Mann lässt los und ich stehe da, mit heruntergelassener Hose am Dorfrand, ich habe eben die falsche Hose eingepackt, hoffnungslos zu klein, wie aus einem früheren Leben, und bevor der Traktor uns erreicht lasse ich mein kurzes Kleid fallen, über meinen nackten Bauch und stehe unbewegt da, wie eine komische Statue in rot, hinten und vorne eigenartige Erhebungen, Ecken und Kanten, die man bei genauem Hingucken als offenen Reißverschluss, Knöpfe und zusammengepresste Fettwülste identifizieren könnte. Der Traktor fährt an mir vorbei, die Männer nicken und schauen mich verwundert an. Ich grinse verkrampft. Sie drehen sich immer-wieder um, ich bewege mich nicht. Ich will sie nicht schockieren, die netten, engstirnigen Dorfleute mit ihrer mittelalterlichen Prüderie. Ich laufe niemals im Minirock über die Dorfstraße. Dafür als Presswurst mit kaputtem Reißverschluss. Ich spüre die Blicke in meinem Rücken. In Kreuzberg würde das niemandem auffallen. Wie herrlich, die Vorstellung.

 

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