Royal Wedding, Hartz 4 und ich

Als ich das erste Mal im Sozialamt in der Schlange stand, hatte ich das Gefühl, unter einem Berg abgenutzter Kuscheltiere lebendig begraben zu werden. Es roch nach dreckigen rosa Stoffhasen, und so sah es auch aus. Nicht, das es wirklich unangenehm gewesen wäre, nein, es hatte durchaus was kuscheliges, menschliches, wie gemeinsames Babywickeln in der Autoraststätte, fürsorglich und leicht nach Scheiße riechend. Willkommen im Club der Versager, sagte ich mir, und betrachtete das Ganze als eine „sportliche“ Angelegenheit, schließlich bin ich ja Drehbuchautorin, ich kann alles unter Recherche verbuchen. Ich stehe eben deshalb hier, damit ich in meinem späteren, erfolgreichen Leben mit großer Empathie über die armen Schweine schreiben kann, die in dem sozialen Netz gefangen sind, wie müde Fliegen im Spätsommer. Da war ich auch mal, ich kenne mich da bestens aus, sage ich dann, möglichst bescheiden, und der Feuilletonist empfindet eine leichte Scham, weshalb er mich umso mehr bewundert. Ich bin in meinen Gedanken vertieft. Um mich herum Kopftuch tragende Frauen, Jungs und Mädels mit Irokesen, schlecht angezogene deutsche Intellektuelle mit Zweitagebärten, FAZ lesend, türkische Unternehmer in strahlend weißem T-Shirt, wahrscheinlich kurz vor der Pleite, ein paar Leute die heute sicher schon was zu sich genommen haben.

Eine innere Stimme, die ich sehr gut kenne versucht mir die ganze Zeit etwas mitzuteilen. Die gleiche Stimme ruft mir mitten im schlimmsten Familienstreit plötzlich „geiler Dialog!“ oder „guter Satz!“ zu. Jetzt sagt sie leise aber beständig: „Harz4 Empfänger sehen aus wie geschlagene Hunde, lauter Opfer, Opfer… sie sind es aber nicht, das ist die größte Täuschung überhaupt, jeder erschafft seine Realität selber.“ Meine innere Stimme ist nicht nur überheblich, die ist auch asozial. Ja, rechtskonservativ, diese Stimme. Pfui. Am morgen zuvor sah ich mir die königliche Trauung an. Nicht, dass mich so etwas interessieren würde, aber ich hatte dort einen Bekannten…

Hier ist alles bunt zusammengewürfelt, eklektisch, dort Pastell und gleichmäßig. Im Westminster Abbey sahen die Leute ziemlich gleich aus, die Kleider gleich lang, im gleichen Stil und im gleichen Farbton. Alle Frauen trugen Hüte. Die meisten Männer Uniformen oder Fracks. Je höher in der Hierarchie, desto mehr herrscht Ordnung. Hier unten sind die aus der Ordnung gefallenen. Und ich?

“Schau dir diese Hundeblicke an, Verschwendung von Potential ist das. Jeder, der sein Potential verschwendet, ist verflucht und verdammt und wird dafür büßen!“ – die Stimme spricht unaufhörlich zu mir. Im Eingang steht eine nette, vollbusige Beamtin, sie klärt die Leute mütterlich auf. Ich atme durch. Ab und an geht jemand zum Rauchen hinaus, die anderen halten den Platz für ihn frei. Wer hier steht, hat seine Schwäche sowieso schon zugegeben.

Ich denke lieber weiter nach. Ich weiß, dass der Philip bei dieser Hochzeit auch dabei ist, dieser Philip eben aus der Geschichte zuvor, der bei uns am Küchentisch saß, mit seiner langen Nase bis zum Boden, stumm wie Hase, der ist auf die königliche Hochzeit eingeladen. Der Philip hat eben die Worte seines Vaters ernst genommen, als er sagte: „es gibt so viel zu tun hier in Rumänien…“. Philip zog nach Rumänien, holte sich sein altes Landgut wieder, erst durch Pacht, dann gekauft, schuftete und baute das Ding zu einem Imperium des Landtourismus transylvanischer Art aus, mit Reiten und Jagen und Geist im Dachzimmer. Er fand seine Lebensaufgabe. Das Erbe seines Vaters und seines Vatersvaters hatte er angetreten und wurde dafür vom Schicksal belohnt. Es hat wohl doch alles gestimmt, was der alte Sabadka mit seinem Testosteronblick erzählte. Nur ich habe ihn nicht ernst genommen. Und meinen Vater auch nicht. Überhaupt habe ich keine Väter ernst genommen. Von Müttern gar nicht zu sprechen. Das ist auch eine Entscheidung. Sicher ist das Leben auch so ein Abenteuer.

Ich bin jetzt nach zwei Stunden Schlange stehen am Schalter angekommen. Vor mir sitzt eine Zwergin mit hoher Stimme und nimmt den Ordner entgegen. „Super Besetzung!“ sagt jetzt meine innere Stimme und jubelt.

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2 Antworten auf Royal Wedding, Hartz 4 und ich

  1. Até agora eu não entendi uma coisa, porque junto com o Cone Crew?

  2. Daniel sagt:

    Liebe Réka,

    es macht so viel Spaß, die eigenen schlechten Gedanken in bessere Worte gefasst auf deinem Blog zu lesen!
    Anfangs sind die Situationen, die du heraufbeschwörst, so unerträglich, dass ich nicht weiter lesen will. Ich weiß aber: Es lohnt sich immer, sich zu überwinden, denn ich werde mindestens einmal laut lachen.
    Danke.

    Grüße, Daniel

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