Keine königliche Hochzeit

Wie ein Indianerhäuptling vor der Schlacht, steht meine Mutter mitten in der Küche, stark geschminkt, ihre Backen knallrot, ihre Lippen auch. Die Augen glänzen Türkis, die Haare sind toupiert. Sie bietet den Gästen lächelnd Schnaps an. Herr Sabadka, ein Mann um die fünfzig, grade aus Frankreich angekommen, ganz in Jeans, streicht über seine angenehm weißen Haare, über seinen eleganten Schnurrbart, als würde er die richtigen Worte finden wollen. Neben ihm steht sein Sohn Philip (21), mit gesenktem Kopf. Er trägt Jackett, gebügeltes Hemd und Seitenscheitel. Dankbar greift er nach dem Schnaps und trinkt es mit einem Zug aus. Herr Sabadka erzählt von seinen ungarischen Vorfahren, er sagt zwischendurch ein paar Worte auf Ungarisch. Meine Mutter lächelt ermutigend und kann ihre Überraschung über den Besuch kaum verbergen. Es ist Anfang der Neunziger, Rumänien, und es passiert selten, dass jemand aus Frankreich einfach so zu Besuch kommt. Herr Sabadka und sein Sohn waren schon mal da, direkt nach Ceausescus Hinrichtung, mit einer Hilfsorganisation. Danach hatte ich nur noch zum Sohn Kontakt.

Vor den rosa Kacheln auf der zerkratzten Arbeitsfläche liegt die Lokalzeitschrift mit vielen kleinen, giftgrünen Pyramiden darauf. Philip vertieft sich in den Anblick dieses wundersamen Bildes. Nach ein paar Sekunden betretener Stille fragt Herr Sabadka, ob meine Mutter etwas über die Hochzeitspläne ihrer Tochter wüsste. Meine Mutter schüttelt überrascht den Kopf und schaut Philip an, der seinen Blick nicht von den grünen Dingern lösen will. Er fragt was das sei. Angadjabur, armenische Spezialität – antwortet meine Mutter, dankbar für die Ablenkung – man lässt die Milch 3 Monate stehen, und wenn sie dunkelgelb ist und ganz dick, dann werden 4 Kilo Sellerie dazu gemischt und Petersilie und es wird tagelang gekocht, es riecht stark und es muss permanent gerührt werden – Herr Sabadka lächelt ein wenig ungeduldig. Meine Mutter greift nach dem Zigarettenschachtel. Ich sei nicht zu Hause, sagt sie, ob sie mich anrufen sollte. Herr Sabadka nickt.

Ich sitze am Tisch und fühle mich als würde mir jemand an beide Ohren gleichzeitig ziehen. Durch die Glasscheibe sehe ich unseren kleinen Garten, die Nachbarin zupft an dem dicht bewachsenen Blumenbeet. Herr Sabadka doziert leise und geduldig darüber, dass heiraten ohne Liebe falsch sei. Philip fixiert den Boden. Seine lange, spitze Nase ist jetzt noch länger geworden, er hat was von Pinocchio und ich freue mich darüber, dass zumindest mir beim Lügen nicht die Nase wächst. Philip sollte mich heiraten, damit ich nach Frankreich auswandern kann, das hatten wir in den letzten Wochen miteinander vereinbart, wir trafen uns paar Mal in Budapest, Philip wollte mit mir in die Oper. Wir hörten Prinz Blaubart von Bartók, es war unerträglich und symbolisch zugleich, ich trug Kleid, Schuhe und Mantel von verschiedenen Freundinnen geliehen, die Schuhe zu klein, der Mantel zu groß, es drückte, ich fand mich hässlich und langweilte mich. Ich dachte darüber nach, was man als junge Frau aus Rumänien auf sich nehmen muss um nach Frankreich zu gelangen… Dann waren wir in der Burg spazieren, Fischerbastei, Touristenparadies, Weinkeller. Zum Glück wollte er mich nicht nach Hause begleiten, ich war in einer Wohnung bei Freunden, im 8. Bezirk untergekommen, Mitten im Rotlichtviertel, Nutten an jeder Straßenecke, fünf Siebenbürger in zwei Zimmern zusammengepfercht. Lacika und Tibike hatten einen Bücherstand und gingen arbeiten. Emese, Rituka und ich, wir saßen den ganzen Tag in der Wohnung und hörten Tracy Chapman. Ich hatte nicht lange zuvor die Uni geschmissen, die Schnauze voll von allem träumte ich von einem mondänen Leben in Paris. Oder so. Philip erzählte ich, dass ich unbedingt Mittelalterwissenschaft in Frankreich studieren wolle. Das fand er, als Sohn eines alten Adelsgeschlechtes, mit Hang zu allem Altmodischen, ganz toll. Es war meine Intuition, die mir immer die richtigen Eingebungen schickte und bald war Philip überzeugt. Er wollte sich sicher sein, dass die Frau, der er hilft, der Hilfe wirklich „Wert“ ist. Das konnte ich ihm weismachen.

Jetzt merkte ich, dass er mir nicht in die Augen gucken mag. Sein Vater redet weiter über die heilige Institution der Ehe, und ich denke darüber nach, dass jeder verwöhnte Wessi ein Stück von seinem schlechten Karma ausgleichen könnte, in dem er tolle junge Ost-Europäerinnen zu einen ordentlichen Staatsbürgerschaft verhilft. ICH habe schließlich die Arschkarte gezogen mit so einem Land, wie Rumänien wo man immer Uniform in der Schule tragen musste, ein weißes Gummiband in den Haaren, auf keinem Fall hinter den Ohren sondern ausschließlich vor den Ohren, um am Nachmittag mit tiefblauen Druckstellen und Kopfweh nach Hause zu gehen, Parteigedichte mussten wir auswendig lernen, so, dass ich jedes Mal eine mehrwöchige Halsentzündung bekam, und nicht mehr reden konnte, ich sollte meine Mitschüler verpfeifen, die mir geholfen haben und wenn ich das nicht tat, dann sollte ich vom Gymnasium fliegen, und ich tat es nicht und ich flog vom Gymnasium, und keine andere Schule wollte mich nehmen und ich sollte in der Fabrik arbeiten mit siebzehn und sollte keine Abitur machen und nicht studieren, weil ich aufmüpfig war…. Dabei hatte ich Dostojewski gelesen und Hrabal und Borghes und Platon und Aristoteles und konnte stundenlang über den Sinn des Lebens dozieren, schon mit zehn. Nix mit Jugendkultur und so, Mickeymouse T-Shirt und Poppermode und Bravo und Austauschjahr in den USA.

Sabadka redet weiter. Warum möchtest du… – dabei schaut er mich intensiv an und sein Blick hat so einen leichten Testosterontouch und ich weiß, dass er seine Familie verlassen hat, dass seine neue Frau blutjung ist und ich glaube ihm keinen Wort darüber, was er über die Liebe faselt, und auch sonst gar nichts, er ist ein Graf, er hat hier in Siebenbürgen auch nur in Schlössern gelebt und dann in Amerika und wasweissichwo, er ist ein hohes Tier bei einem Weltkonzern und sein Büro liegt im Zentrum von Paris im siebzehnten Stock. Unsere Küche mit dem Linoleum und das Neonlicht, das kleine Haus, ist mir ganz Gegenwärtig, es drückt überall, ich spüre das Blut meiner Vorfahren , die armenischen Knopfhändler mit ihrem legendären Geiz und Kleinkariertheit und die ungarischen Bohéms die alles versoffen haben, ich spüre die Enge in meinen Knochen, ich habe hier keine Perspektive, ich will hier raus!

Warum möchtest du ein so wunderbares Land, wie Rumänien verlassen? – fragt Sabadka mit zuckersüsser Stimme- Das es hier nichts gibt, genau das ist das interessante! Das was unten ist, kann man noch erheben, was schon oben war, kann nur noch fallen. Es gibt so viel zu tun hier. In diesem Land kann ein Mensch seine richtige Berufung finden, seine richtige Lebensaufgabe. In Frankreich, dort hat man schon alles fertig, dort braucht man niemanden mehr. Selbst so eine schöne, gebildete, talentierte junge Frau wie dich, braucht man dort nicht. Glaub’s mir.

Philip schaut hoch. Sein Blick ist traurig und erleichtert zugleich. Ich höre die Stimme meiner Mutter, die sagt: „ Machen sie sich keine Sorgen. Sie heiraten nicht… möchten sie ein bisschen von der Angadjabur mitnehmen?“. Sabadka nickt unschlüssig.

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