Warning. He may bite.

Ich schließe die Tür auf und lächele verkrampft. Mütter sollen lächeln, wenn ihre Söhne von der Schule nach Hause kommen, oder wenn überhaupt ihre Kinder nach Hause kommen, Mütter sollen sich freuen. Denn Mütter, die lieben ihre Kinder und das gilt sogar für mich. Und wer liebt, der freut sich, und steht voller Freude da, voller Interesse und so, wenn das Kind nach einem langen Tag nach Hause kommt, mit dicken Ranzen auf dem Rücken, voller Fragen, wie „Wie war es heute in der Schule? Erzähl mir doch mal was. War es gut? Was war heute los? Haben dich die großen Jungs wieder geärgert? Lauter Fragen, die Kinder hassen, und nie richtig beantworten, dazu gibt es sogar Statistik, nur was man sonst so fragen könnte, das steht in keiner Statistik. Soll man überhaupt Fragen stellen oder ist es besser, wenn Mutti lächelnd schweigt, oder schweigend lächelt, denn so kann in der Stille die wirkliche Nähe entstehen. Das habe ich auch mal versucht, dann sagte mein Sohn erst: Was ist los? Später: Was guckst du so? Zum Schluss: Darf ich bitte zu Dustin?

Und weg war er für den ganzen Nachmittag. Bei Dustin, der vermutlich genau weiß, was Schulkinder so interessiert.

Vielleicht sollte ich versuchen wirklich spannende Fragen zu stellen, wie zum Beispiel: Möchtest du eine Samsung Galaxy S5 und zwar heute? Hast du Lust auf Gummibärchen? Soll ich dir meinen Laptop geben, damit du den ganzen Nachmittag zocken kannst?

Das alles würde reges Interesse verursachen, ist aber ungesund.

Oder: Wann werden die Außerirdischen die Macht übernehmen?

Auch das könnte zu einer angeregten Kommunikation führen, allerdings müsste ich dann den ganzen Nachmittag Außerirdische spielen, was zwar gesund ist, ich aber keine Zeit dafür habe.

Schließlich könnte ich einfach von mir reden und persönliche Frage stellen, wie: was würdest du dazu sagen, wenn Mama sich an einem Baum erhängt, weil sie keine Lust mehr hat Mutter auf dem Land zu sein, Briefe vom Finanzamt zu kriegen, sich immer nicht entscheiden zu können, an welchem Scheißprojekt sie jetzt weiterschreibt, weil sie dieses Kleinteilige Leben, seit sie keine Typen mehr so leicht aufreißen kann, überhaupt nicht  toll findet. Würde dich das traurig machen?

Das könnte auch eine interessante Frage werden, nur sie ist leider zu lang für so ein kleines Kind.

Der Sohn ein kleiner, blonder, zierlicher Kerl, dem vorne fast alle Zähne fehlen, ein tapferes Schneiderlein, nähert sich mit düsterem Gesichtsausdruck seiner lächelnden Mutter, er ruft noch etwas nach hinten, mehrere Kinder gehen in mehrere Häuser hinein, alles Dorfkinder, die ich nett finde, wenn sie mit meinem Sohn spielen, sonst finde ich sie genauso dumm und uninteressant, wie ihre Eltern, denn Hochmut kommt nicht erst vor dem Fall, sondern war immer schon da und wird vermutlich immer bleiben, jedenfalls bei mir. Er läuft die Treppe hoch, bleibt vor mir stehen und sagt entschieden:

Heute gibt es eine fette Regenwolke!

Ich schaue nach oben, der Himmel blau, die Sonne strahlt. Blicke fragend zurück.

Ja. Und die musst du unterschreiben.

Langsam dämmert etwas, doch bevor ich eine Frage stellen könnte, quetscht er sich an mir vorbei.

Wie lange habe ich Zeit, bis wir losfahren, darf ich zu Dustin?

Öhm, sag erst mal schön Hallo, komm in Ruhe rein, und dann sehen wir weiter – sage ich, ganz wie eine Mutter, ruhig und besonnen, ich muss hier schließlich den Rahmen herstellen, in dem sich mein Kind seelisch entfalten kann. Er gibt mir schlecht gelaunt einen Kuss und trottet Richtung Küche.

So, und was ist das mit der Regenwolke?

Ich habe zwei Jungs gebissen – antwortet er- aber ich war alleine gegen die ganze Klasse, alle haben auf mich eingeschrien, keiner war mit mir, nur die Mädchen, und selbst die großen haben sich eingemischt und ich habe nur aus Versehen gebissen.

Ich lächele immer noch, denn auch vorher hatte ich keine wirkliche Lust zu lächeln, dann macht das jetzt auch keinen Unterschied mehr.

Was genau ist passiert? – Kannst du mir das bitte erzählen?

Wir erreichen inzwischen die Küche, wo meine Freundin Ute am Herd steht und an ein salziges Reisgericht rührt. Sie ist aus Bayern zu Besuch und hat mir gerade zuvor gesagt, was ich für eine tolle Familie hätte und die Kinder seien der Wahnsinn und das ich ganz zufrieden sein kann.

Das mit dem Wahnsinn erscheint mir jetzt in einem ganz anderen Licht.

Ich habe die Leila getackt – der Sohn redet schnell, wie jemand, der das ganze hinter sich bringen will -  aber nur so, schau mal, nur so – er zeigt mir eine zarte Handbewegung- und dann fing sie an zu heulen, und dann kamen sofort die anderen, und haben mich angeschrien, dass ich sie in Ruhe lassen soll, dabei habe ich gar nichts gemacht und das war nur eine Sache zwischen mir und Leila, und ich habe ihnen gesagt, haltet euch da raus, aber sie wollten sich da nicht raushalten, und dann bin ich immer wieder weggerannt und dann habe ich sie gebissen.

Äh… und warum bist du weggerannt? Und warum hast du sie gebissen?

Weil sie sagten ich soll mich beruhigen, aber ich kann mich dann nicht so schnell beruhigen, da müsste ich zum Doktor damit er mir Pillen gibt. Beruhigungspillen.

Ute schaut wohlwollen lächelnd vom Herd rüber, wie jemand die sich entschieden hat, in unserer Familie alles gut zu finden, egal was passiert, aus reiner Zuneigung. Sie würde mich vermutlich auch im Knast besuchen wenn ich mal in einem dieser Momente in denen ich mich nicht beruhigen kann das Haus anzünden würde. Ich dagegen habe Schwierigkeiten, der Erzählung meines Sohnes zu folgen, denn bestimmte Gedanken fordern auf einmal ganz viel Platz in meinem Kopf. Zum Beispiel:

Ich gebe mir aber so viel Mühe, trotzdem mache ich alles falsch.

Ich brülle viel zu oft.

Vielleicht sollte er doch in die Waldorf Schule.

Alles kein Wunder, bei den Eltern, vor allem bei dem hysterischen Vater.

Die Schule ist Kacke, die Lehrerin doof.

Alle anderen Kinder sind blöd.

Mein Sohn hat eine Vollmeise und dafür kann nur ich etwas.

Wären wir nur in Berlin geblieben.

Wenn das meine Eltern wüssten.

Ist mein Sohn jetzt unglücklich?

Oh Gott, wie kann ich ihn trösten.

Früher war er noch ganz normal, aber meine Hysterie hat ihn verrückt gemacht.

 

Hast du das der Lehrerin erzählt? – frage ich.

Nein.

Warum nicht?

Weil die anderen schon alles erzählt haben, als ich in die Klasse kam.

Hast du deine Version nicht erzählen können?

Er schüttelt den Kopf und spielt mit einem geliehenen Auto.

Warum  nicht?

Weil die anderen alles richtig erzählt haben. Darf ich jetzt zu Dustin?

Öhm…. Noch nicht.

Manno!

Ich habe so ein Gefühl im Körper, das man manchmal in Träumen hat, wenn man losrennen will und die Beine bewegen sich nicht, oder nach etwas greifen will, aber die Hände sind wie gelähmt und im Herzen spielt jemand Bleigießen.

Er packt seine Tasche aus, und zeigt mir sein Heft mit der weinenden Wolke. Der Tag davor Sonne, und davor auch Sonne, und nur Sonne bis zum Heftanfang.  Ute schaut gelassen hinein.

Na bitte schön – sagt sie – da darf das Wetter auch mal schlecht werden.

Ich lache verkrampft. Das stimmt zwar, mit der vielen Sonne und überhaupt ist er der Beste in der Klasse und bekommt immer viel Lob, aber wenn das jetzt ab heute nur noch so geht? Und wenn er ab jetzt sich jeden Tag nur noch mit der gesamten Klasse prügelt? Und wenn ihn keiner mehr mag? Wenn heute der Tag ist, ab dem alles nur noch schief geht? Das erscheint mir sehr realistisch, das würde genau in meinem Weltbild passen. Das war doch bei Hiob auch so. Und mein Glaube hat nicht mal die Größe von einem Katzenfloh im Verhältnis zu seinem.

Kleine Jungs kloppen sich, das ist ganz normal – sagt Ute – hat meiner auch gemacht.

Mich kann aber nichts beruhigen. Vielleicht sollte ich eine Pille nehmen. Oder zum Doktor gehen.

Sohn, du musst lernen, dich zu beruhigen – sage ich – und dich nicht so in Dinge hineinsteigern.

Er schüttelt entschieden den Kopf: Das kann ich nicht.

Und warum hast du der Lehrerin nicht erzählt, wie das aus deiner Sicht war?

Sie glaubt mir eh nicht.

Was glaubt sie dir nicht?

Das ich nur aus Versehen Gebissen habe.

Aha?

Ja, ich habe nur grade meinen Mund zugemacht, und genau dann war ein Arm dazwischen…. Und das zweite mal auch.

Die Ute schaut mit Anerkennung rüber und lacht. Ich bleibe ernst, wie eine Mutter, die erziehen muss. Nehme einen tiefen Atemzug.

Also, das kann ich dir auch nicht glauben.

Der Sohn schaut mich entgeistert an und fängt sofort zu flennen an.

Siehst du, nicht mal du  glaubst mir!

Was ich jetzt sinnvolles tun könnte, steht wirklich in keiner Statistik. Denn ich weiß, es gibt viele Wahrheiten. Sehr viele.

Das weinen dauert recht kurz. Er wischt sich die Tränen von den Augen und fragt:

Darf ich jetzt zu Dustin?

 

Später sind wir in einem Second Hand-Laden. Die Jeans , die ich für ihn ausgesucht habe, gefällt ihm nicht. Er schaut die Reihe durch, holt eine blaue Stoffhose von der Stange, die er unbedingt haben will, mit einem Tiger  am rechten Bein. Die Hose passt, wir kaufen sie und laufen fröhlich die Straße entlang.  Ich bleibe ein bisschen zurück, schaue auf seinen Hintern. Da lese ich etwas, dass ich vorhin gar nicht entdeckt habe:

Warning. He may bite – steht dort geschrieben.

 

 

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2 Antworten auf Warning. He may bite.

  1. Sonja sagt:

    Einwandfrei nachvollziehbar für mich, erstens als Mutter wilder Jungs, zweitens als Lehrerin an teilweise rigiden Schulen mit echten “Maßnahmen”, wo ich nie lange bleiben wollte, konnte, durfte mit meinen so anderen Ideen, die auf Liebe basierten- wo kämen wir denn da hin.
    Klasse Schreibe- und ich sah Deinen Film so gern, manche Szenen noch erinnerungsnah…

  2. Großartig. Wie gut ich das alles kenne. Nur könnte ich es nie so unterhaltsam selbstironisch auf den Punkt bringen.

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