Rassismus beim Biobäcker

„Wo kommen sie her?“ – fragt der ältere Herr mit weißem Zopf in zerknitterter Leinenhose und Birkenstock, unter dem Arm die Süddeutsche Zeitung.

Ich stehe hinter der Theke einer Bio Bäckerei in Zehlendorf und trage eine weiße Schürze. Auf den Regalen kleine, hässliche, schrumpelige Brötchen, die mir auch nach zwanzig Jahren Deutschland nicht schmecken werden, aber ich bin erst seit drei Jahren hier. Ich denke darüber nach, was ich sagen soll. Manchmal lautet die Antwort  einfach: „Ich bin Ungarin” was zwar stimmt, aber keine Ortsangabe ist. Obwohl ich Ungarisch als Muttersprache spreche, komme ich nicht aus Ungarn, sondern aus Rumänien.

Rumänin bin ich aber definitiv auch nicht. Wer soll das verstehen? Ungarin aus Rumänien. Ich gewöhne mich daran, dass meine Identität für die meisten Menschen ein Rätsel bleibt.

Der Mann sieht, das ich zögere, er will nachhelfen.

„ Französin?” – fragt er und seine Augen leuchten.

„…Nein” – antworte ich unsicher, heute irgendwie nicht in der Franzosenstimmung und auch noch unentschieden, welche Nationalität ich haben soll. Ich gebe mich oft als Italienerin, Französin oder Griechin aus, je nach dem wer mir gegenüber steht. Spanierin kommt auch immer gut. Selbst Armenien oder Aserbaidschan wecken reges Interesse. Das einzige, das wirkt wie eine Schachtel abgelaufene Viagra beim Gruppensex ist die Ansage „Aus Rumänien”. Das sollte man eigentlich nur sagen, wenn man sich die Leute vom Leib halten will.

Ich beobachte den Mann, wahrscheinlich hat er ein Haus in der Toskana – denke ich – er kauft ausschließlich Bio ein, ist politisch interessiert und geht immer noch manchmal zu Demos. Kaffee trinkt er keinen, um ein Zeichen gegen übertriebene Wasserverschwendung zu setzen. Er ist ziemlich selbstbewusst. Und umweltbewusst. In Afrika war er garantiert schon mal. Geldsorgen hat er keine. Er tut gerne spenden. Auch sonst hat er wenig Probleme. Außer vielleicht, dass er sich in seiner ersten Ehe wie ein Arschloch verhalten hat und seine Kinder nicht mehr mit ihm reden. Aber das sei ihnen frei gestellt, den Kindern. Und sein Papa war zu seiner Zeit ein bisschen Nazi, aber den hat er auch mal laut angebrüllt. Seitdem ist es besser. Aus der Kirche ist er längst ausgetreten. Heute ist Mülltrennung seine Religion.

“Spanien?“ – fährt er fort, und ich sehe ihm an, dass er mich heiß findet, so in der weißen Schürze.

„Ich komme aus Rumänien.” – sage ich prompt und packe ecklige Frühlingsrollen in Fettpapier ein. Und tatsächlich, sein Lächeln schwindet. Er wird ernst und macht eine kaum sichtbare, kleine Geste. Abwinken. Seufzen.

„Ach die Rumänen! DIE müssen noch ganz viel lernen, eh sie soweit sind…” – sagt er, wie ein großer Experte in Sachen Rumänien, wie einer, der sich auskennt.

Ich mag weiss Gott keine Rumänen, ich gehöre einer nationalistisch abgekapselten ungarischen Minderheit an, die Rumänen hasst. Sie kamen nämlich im Mittelalter als Knechte über die Karpaten um sich langsam zu vermehren, kulturlose Schäfer – das lernt jedes ungarische Kleinkind noch bevor es sprechen kann –  und dann kam noch die Politik dazu und zwei verlorene Weltkriege und schwupps sitzen wir Ungarn im Barbarenland Rumänien. Mein Vater hat auch gegen die Rumänen gekämpft, für die Rechte der Ungarn, und wurde aus dem Land verjagt.  Wir blieben mit einer hysterischen Mutter alleine, meine kleine Schwester fing mit neun Jahren wieder an ins Bett zu pinkeln und ich flog von der Schule. Um nur ein paar Sachen zu erwähnen.

Und doch bekomme ich jetzt Lust, diesem umweltbewussten Zehlendorfer in das schüttere Haar zu greifen und so lange daran zu ziehen bis es büschelweise von seinem Kopf fällt.  Während er eine Predigt darüber hält, was die Rumänen noch alles lernen müssen um bei seiner fortschrittlichen Demokratenrunde dabei zu sein, stelle ich mir vor, wie er beim Spazierengegen im Grünewald  auf eine Mine tritt, explodiert und die Fetzen seiner Leinenhose an den Bäumen kleben oder wie sein Hund in einem chinesischen Restaurant zu einem exotischen Gericht in Sojasauce verarbeitet wird.

„Wollen sie eine Tüte haben?” – frage ich, und der Mann nickt, während er weiterredet. Ich tue sein gesundes und völlig geschmackfreies Essen in eine Papiertüte. Er schaut mich zufrieden an. Das anfängliche Leuchten in seinen Augen ist zwar endgültig verschwunden, aber er verabschiedet sich sehr freundlich. Schließlich hat er den Standpunkt eines Demokraten vertreten und nichts Verwerfliches getan.

Und mit Rumänien kennt er sich ein bisschen aus. Das können auch nicht alle von sich behaupten.

Der Laden ist wieder leer. Ich sehe die S-bahn ein- und ausfahren. Nur selten kommt jemand vorbei. Der Besitzer, selbst ein Alt-Achtundsechziger mit langen weissen Haaren und Leinenhose, hat Krebs. Er lässt sich nicht behandeln. Er will das „alleine schaffen” mit veganer Diät. Abgemagert wie ein KZ-Häftling und gemein wie ein KZ – Wärter herrscht er  in einer genussfeindlichen Gesundheitsdiktatur über seinen kaputten, stinkenden Laden. Er war der erste Biobäcker in Berlin. Politisch engagiert. Und schwul. Jetzt gehen er und sein Laden zusammen zu Grunde.

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3 Antworten auf Rassismus beim Biobäcker

  1. glumm sagt:

    Großartig. Bisschen viel klischee, aber so ist das land: Klischeenien.

  2. Büdös oláh sagt:

    Hat mir sehr gut gefallen ! Nicht nur geistesreich aber auch sehr gut geschrieben und im perfektem Deutsch und das alles von einer Bozgorin, hut ab und weiter so !

  3. Boris Kalnoky sagt:

    Hatte aehnliche İmpulse als mir eine fortschrittliche Berlinerin erklaerte, es sei ja schon klar dass man die Weltbevölkerung nicht mit Biokost ernaehren könne, daher müsse die Menschheit ja verringert werden. (Klartext – mehr Abtreibungen und Pillenvarianten, damit der Bioapfel erhalten bleibt.)

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