Das Leben, das ich jetzt lebe ist eigentlich sehr schön. Nur, es ist nicht meins. Das Haus, in dem ich wohne, ist das richtige. Nur, es steht in der falschen Straße.
Ich halte die Vorstellung, das man immer sein eigenes Leben lebt, für einen gefährlichen Irrglauben. Vielmehr denke ich, dass man in allen möglichen Biographien herumirren kann und dabei Leuten begegnen, Skatabende veranstalten, Glühbirnen auswechseln, Katzengras verstreuen, Wettbewerb im Armdrücken gewinnen.
Ich jogge also und bei jedem Schritt stelle ich mir vor, wie mein Hintern kleiner wird, mein Bauch flacher, wie ich immer schlanker und schlanker werde, um am Ende wieder die junge und ziemlich dünne Frau zu sein, die ich mal war, die faule Hochstaplerin, Schnapsdrossel und Taugenichts, das Großmaul mit Geniepotential, voller Abenteuerlust und mit mindestens drei Affären gleichzeitig, der Schreck aller Ehefrauen. Die wilde Osteuropäerin mit Knackarsch von dem sich gelangweilte Wessis gerne ausnehmen lassen. Und keine Mutti.
„Ich dachte, dass du nicht nur ein geniales Großmaul, sondern auch wirklich genial bist“ – sagte mir neulich eine alte Stimme aus einem früheren Leben, Typ WG-Zimmer mit Ikea- Matraze. Und natürlich kommt die Ernüchterung mit zwei Kindern und Kleidergröße 42.
Heute schenkt mir keiner mehr freiwillig Geld. Jetzt muss ich meinem überforderten Ehemann zur Last fallen. Oder selber arbeiten gehen. Nur: ich kann nichts. Ich bin Künstler.
„Lass mal, du warst lange genug jung und hübsch“ sagte mir im Sommer meine wunderschöne voluminöse Jugendfreundin. Das hieß so viel, wie „welcome to the real world”.
Vielleicht habe ich einfach nur den Faden verloren. Ich bin in ein fremdes Leben gerutscht, so wie der Muslim in tausendundeine Nacht, als er aus purer Neugier sein Gesicht in das Wasser de Zauberers hielt.
Werde weich. Werde zart. Liebe das Zarte in Dir.
Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet. Aber ich tue so, als ob ich es wüsste. Klug bin ich immer noch. Auch mit Fett auf dem Hintern.
Wir haben jetzt eine Katze. Seit vier Tagen schon. Und ich habe sie noch kein Mal getreten.
Ich renne durch den wunderschönen Wald. Regen auf meiner Haut, die Blätter strahlen, gelbe und rote Leuchtwiesen zwischen kahlen Bäumen. Auch der November hat seinen Glanz, aber nur wer sich früh an einem verregneten Tag in den Wald traut, wird ihn sehen. Es ist ein zartes, fast unsichtbares Leuchten, wie Glühwürmchen in locker geschlossener Faust. Und der Duft von nasser Erde wäscht das Hirn.
Ich lasse die Bäume hinter mir. Vor mir schlängelt sich, zwischen kahlen Hügeln ein schmaler, fremder Weg. Die Havelländische Fahrradstraße.