Mein Sommer mit A.

„Du kannst mich auch mal besuchen“, sage ich.

„Ich habe keine Zeit um aufs Land zu fahren, ich bin immer nur kurz in Berlin“, antwortet er und stochert in seiner Fetuccini mit Parmesan in Tomatensoße. „Außerdem habe ich dich schon drei mal besucht…“

Es ist heiss, wir sitzen beim Italiener, draußen auf einer kleinen Piazza in Kreuzberg. Schattige Bäume, Karodecke auf dem Tisch, Tafelwein, Espresso. Fast wie im Süden, fast wie im Urlaub, fast glücklich.

Ich zähle nach, aber ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, wo A. mich auf dem Land besuchen kam. Paar Tage nach dem Kaiserschnitt, ich lag nach schweren Blutverlusten flachatmig und blass im Souterrain unseres neuen Zuhauses,  in meinem ersten Schlafzimmer, mit zwei Nachtschränken und einem Garderobenschrank, die Bilder ordentlich gehängt, mit Rahmen, statt schräg klebende Plakate und Zettel, keine Bücherhaufen mehr auf dem Boden, die als Tisch dienen, die Austattungsteile aus frühen Filmen sind abgeblieben, das Plakat mit den vergrößerten Grashalmen, der Riesenfuchs, Tariks glitzernde Stehlampe, Christian in Schlaghose mit der Farbpalette in der Hand. Die Anjas, Annettes und Oskars die umsonst und voller Hoffnung bei meinen Filmen mitgearbeitet hatten, die meine besten Freunde für einen Sommer waren, wurden schon lange aus dem Adressbuch gelöscht.

Nur A. war noch da, er war mein bester Freund. Mit ihm wollte ich mein Leben verbringen, denn eine gute Freundschaft kann viele Affären überleben und auch einige Ehen, dachte ich, eine gute Freundschaft begleitet einen bis in den Tod.

Ich konnte mir kaum einen Tag vorstellen, an dem er nicht anrufen und mit lang gezogenen Vokalen und Schweizer Sing-Sang „Hellöööö hier ist der AAAA….“ sagen würde, und fragen ob ich schon zu Mittag gegessen hätte, ob wir Kaffee trinken oder einen Film gucken wollen, wann wir den Stoff weiter entwickeln über das böse Ausländermädchen das als Babysitterin Unfug in deutschen Haushalten treibt.

Es gab Zeiten, da wollten A. und ich jeden unserer zukünftigen Filme zusammen machen.

„Na und, du kannst mich trotzdem mal wieder besuchen“ – wiederhole ich, wie eine Seilkünstlerin, die gerade versucht den dünnen Streifen unter ihren Füßen wieder zu finden, oder eben wie jemand, der nie gelernt hat die Veränderungen des Lebens mit Würde zu nehmen. Ich hoffe heimlich dass es einen guten Grund gibt, warum wir uns kaum noch sehen, kaum noch sprechen, warum wir keine Pläne mehr zusammen haben, denn ein Grund ist immer noch tausend Mal besser als kein Grund.

„Hab dich schon mal besucht “ – sagt er stur, als wäre ein Besuch etwas, was man nur einmal im Leben absolvieren muss, wie ein Erbe, der seinen Pflichtanteil abholt.

Wir hatten die skurrilsten Dinge zusammen erlebt.

Es gab einen Sommer, da besuchten wir in der größten Sommerhitze alle SM Schuppen der Stadt, um Protagonisten für unseren Filmhochschulen – Geburtstagsfilm zu finden, denn dass ein Filmstudium einer sado-masochistischen Veranstaltung ähnelt, darin waren wir uns einig. Wir besprachen unsere Schlachtpläne Vormittags im Badeschiff, in einem mit Chlor vollgepumten Schwimmbecken mitten in der Spree, Schulter an Schulter mit drogengeschädigten Touristen, Blick auf den verlassenen Industriehafen, der grade hip geworden war. Ich konnte bald nicht mehr sitzen, weil mir zwei riesige Eiterbeutel an einer bestimmten Stelle wuchsen, wo ich den Eindruck bekam, mir wachsen die Eier und ich werde jetzt Mann.

A. war bei all diesen Entwicklungen im Detail involviert, denn er war nicht nur mein bester Freund sondern auch meine beste Freundin.

Meine persönliche SM Veranstaltung, mit den eiergroßen Geschwüren auf dem Fahrrad bis zum nächsten Schuppen, wo entweder ein alter Mann eine junge Japanerin auspeitschte oder sie fesselte, oder sich zwei Mädels mit Wäscheklammer gegenseitig in Igel verwandelten oder unten ein Puff war, oder alles zusammen, begleiteten A—s schallende Gelächter und sein immer verständnisvoller Blick. Wir bekamen sogar ein handfestes Angebot zum Geldverdienen, als Regie-Kamera Duo,  SM-Schwulenpornos, finanziert von einem Laden aus Spandau, der Besitzer blond und lockig mit John Lennon-Brille und Kunstverständnis.

„Warst du schon mal bei mir in der Schweiz?“ – erwidert er und sagt, es sei ihm zu nervig aufs Land zu fahren, wenn er nur kurz in Berlin ist, außerdem wäre er auch schon Mal in Rumänien gewesen wegen mir, er schulde mir also nix, er habe viel zu tun. Und er hätte sich genug nach mir gerichtet während unserer Arbeit an dem Spielfilm.

Das vielleicht sein ein Grund, denke ich, mit einer kleiner Erleichterung.  Es gibt bei mir eine Stelle in der Brust, ganz in der Mitte, da wo der Atem die Magengegend berührt, da fällt alles hinein, was vorbei ist und was ich einmal liebte. Das ganze Gewicht Vergangener Dinge hat sich dort angesammelt, ich spüre, wie sich das Loch öffnet, um A. auf Nimmerwiedersehen zu verschlucken und  nippe an meiner Apfelschorle.

Ich habe oft versucht A. auf das Schwinden unserer Freundschaft aufmerksam zu machen, doch er verstand nie, was ich meinte.

Kreuzberg

Volle Fahrradwege

Mittagstisch plus Espresso für ein Zehner

Der kleine Bioladen an der Ecke zu Skalitzer, warte draußen bis ich Milch geholt habe

Lange Gespräche über die Nouvelle Vague

Über Shermans March und die Kunst sich selbst zu filmen

Billiger Rotwein

Eiszeit Kino

Lange Gespräche darüber, wie er mal wieder eine Freundin findet

Lange Gespräche über den ständigen Stress mit meinem bereits Ehemann

Über das I-Ging, Tarot, über Schicksal, Heldenreise und den lieben Gott

Ein Mann der gleichzeitig eine Esotante ist.

Die Mischung machts.

Aufenthalte am Badesee

Risotto mit geriebenem Käse und Zitrone

Weiss gestrichene Dielen

Träume von Cannes und Locarno

Ich war auch mal mit einem dummen Schweizer zusammen.

Die Angst alleine Alt zu werden

Wir bestellen einen Espresso. Der Sommer ist immer noch wunderschön. Es ist nicht der gleiche, lange Sommer mit A. zwischen Badeschiff und SM Schuppen, zwischen meinem dunklen, mit Teppichen vollgestopften Wohnzimmer in Kreuzberg und der nächsten Kneipe, zwischen großen und noch größeren Hoffnungen. Auch nicht das verregnete Frühjahr in Stuttgart, mit  ungarischen Exilanten und deren Theatergruppe,  der Hügel mit dem Waldorfzentrum, der Lammbraten von Hanni, oder das verlassene Haus meiner Cousine in der süddeutschen Pampa. Aber, es ist immerhin einer.

„Ich mache mir keine Sorgen, denn wenn Du etwas lösen willst, dann bist du so lange dran, bis du es gelöst hast“ – er sitzt  entspannt  im Liegestuhl während mich die argsten Sebstzweifel plagen. Ich hatte immer das Gefühl, das er derjenige war, der am meisten an mich geglaubt hat.

„Ich muss mich jetzt beeilen, ich fahre aufs Land“ – sagt er – „eine Freundin besuchen“. Der Widerspruch fällt ihm nicht auf. Oder der Verrat.

Es ist nicht passiert. A. wohnt jetzt in mir, in diesem Raum zwischen Zwerchfell und Bauchdecke, zusammen mit allen die ich nie loslassen konnte. Dort braucht man keine Angst zu haben, alleine Alt zu werden, dort werden viele gute Filme gedreht, Romane geschrieben, dort hat man Geld ohne Ende und  ist in bester Gesellschaft. Und ich mochte katholische Kirchen immer mehr als protestantische, wegen den vielen Bildern an der Wand.

A. hat schon lange eine Frau gefunden, mit der er glücklich ist. Er ist weggezogen, zurück in seine Heimat. Er dreht viel und ist ein gefragter Kameramann. Er revolutioniert die Filmindustrie mit anderen und woanders. Und ich verbringe mein Leben nicht mit A.

Und nicht jede Freundschaft kann eine Ehe überleben.

 

 

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5 Antworten auf Mein Sommer mit A.

  1. hoehenangst sagt:

    Mit diesen Leuten zwischen Zwerchfell und Bauchdecke ist man nie alleine.
    Danke für diesen Text, ich habe ihn genau zur passenden Zeit gefunden.

  2. Ach Gott tut das gut, wenn eine wie Du aufschreibt, was eine wie ich schon so oft gefühlt hat, ohne es wirklich in Worte fassen zu können. Ja, Danke für die Stelle, die Glumm schon zitiert hat. Die ist es. Die haben wir wohl alle, und werden mit ihr (und Dank ihr?) nicht alleine alt.
    Immer wieder so schön, wenn Du endlich wieder etwas schreibst.

  3. glumm sagt:

    “Es gibt bei mir eine Stelle in der Brust, ganz in der Mitte, da wo der Atem die Magengegend berührt, da fällt alles hinein, was vorbei ist und was ich einmal liebte.”

  4. Boris Kálnoky sagt:

    - “Kann es Freundschaft geben zwischen Mann und Frau?”
    - “Vorher, oder nachher?”

  5. kathrin sagt:

    Das tut mir leid. Vielleicht hat nicht jeder dieselbe Definition von Freundschaft. In dieser Branche besonders. Wenn wir uns wiedertreffen, können wir A. mit D. zusammentun in der speziellen Kammer :-)
    Hab dich lieb.

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