Hausdrachen – Stereo

Der kleine Junge weint und hält sich an seiner Mama fest. Er ist hübsch, zart und fünfjährig. Die Mama, Hausdrachen Zwei, schwarz und wütend, meine gute Freundin aus Stuttgart. Die beiden sind für ein paar Tage zu Besuch bei uns. Hausdrachen im Doppelpack. Es wird pausenlos gezetert, so als würde ich mein Echo hören… Ich lerne mich kennen.

Am Freitagabend wollen wir essen gehen. Drachenessen. Das wird den Söhnen rechtzeitig mitgeteilt und alles soll gut sein. Zunächst ist auch alles gut, meine Freundin schminkt sich, ich warte. Als der Abschied naht, bekommt der Junge es mit der Angst zu tun. Er weint, er will nicht mit einem fremden Papa in einer fremden Wohnung bleiben. Er sagt Sachen wie „Ich weiß, dass du zurück kommst, aber bis dahin zerbricht mein Herz.“ oder „Mama, ich liebe dich so, ich halte es nicht aus, wenn du weg bist…“ – Kinder sind gute Dramaturgen. Der richtige Satz, im richtigen Moment und schon blutet das Mutterherz. Meine Freundin wischt das Blut mit einer kurzen, harten Geste sofort weg. „Wenn du nicht aufhörst zu heulen, gehe ich jetzt schon raus! Auf der Stelle“ – sagt sie.

Hausdrachengesetz Nummer eins: Gefühle, vor allem schmerzhafte, sollen durch Drohgebärden überspielt werden. „Willst du, dass ich jetzt sofort durch die Tür gehe!?“- fragt sie den Sohn mit rauer Stimme- „…Dann hör auf zu heulen!“ – Der Junge hält kurz inne und versucht das Heulen zu unterdrücken. Meine Freundin zieht mit gespielt strengem Gesichtsausdruck ihre Stiefel an. Die sind knallrot, ihr Schal gelb, ihre Haare weich und dunkel. Eine sehr schöne Frau. Den Gesichtsausdruck kenne ich: Es ist die Hoffnung, die Angst durch Brutalität zum Schweigen zu bringen. Ich weiß, wie sinnlos das ist. Ich habe Mitgefühl.

Nach kurzer Pause legt das Kind wieder los. Es weint noch mehr. Mein Ehemann steht mittlerweile im Türrahmen und schaut uns ein wenig hilflos zu. – Bei seinem Anblick fällt mir ein, wie ich neulich unseren Sohn auf dem Spielplatz sagte, der böse Mann würde kommen und ihn beißen, wenn er nicht aufhöre, den fremden Fahrradhelm herum zu schubsen – und zeigte dabei auf einen netten deutschen Papa, den Besitzer des Helmes. Leider hatte der Papa den Spruch gehört  und fand es gar nicht lustig. Er sagte zu meinem Sohn wahnsinnig freundlich: Natürlich dürfe er den Helm herumschubsen, wie er wolle, IHN würde das gar nicht stören – dabei schaute er mich vorwurfsvoll an. Mein Sohn schmiss also den Helm herum, und der “böse Mann” war fürs Leben diskreditiert. Ich bekam schlechte Laune und wusste, dass ich mir was anderes einfallen lassen muss… Vielleicht versuche ich es mal mit Drakula.

Ich hätte diesem Papa schwer erklären können, dass gerade eben das 19. Jahrhundert mit mir durchgegangen war, dass ich in einer Diktatur aufgewachsen bin, und ohne die ´68-er Revolution, dass mir die demokratische Debattiererziehung gehörig auf den Geist geht. Ich falle ständig aus der Rolle und habe Todesangst vor Waldorf- Erzieherinnen.

Meine Freundin kann ich also bestens verstehen. Selbst wenn sie den Sohn verprügeln oder aus dem Fenster raushängen würde, mit dem Kopf nach unten, würde ich tiefes Mitgefühl für sie empfinden. Ich kenne diese Ohnmacht, eine tolle Mutter sein zu wollen, aber es auf Teufel komm raus nicht zu schaffen. Den ganzen Tag liebevoll und nett zu sein und sich zu kümmern, um am Ende des Tages mit einer unmöglichen Geste, einer haarsträubend ungerechten Reaktion alles wieder kaputt zu machen. Der Hausdrachen erwacht und spuckt plötzlich Feuer, zur Not auch mitten in einer Liebeserklärung. Man kann nichts dagegen tun. So kommt es manchmal, dass am Ende einer wunderschönen gemeinsamen Zeit mit Familie, nichts als ein Trümmerhaufen herumliegt.

Der Sohn von meiner Freundin lässt sich von nichts, aber eben auch von gar nichts beeindrucken. Er lässt sich nicht trösten, er lässt sich nicht einschüchtern. Er brüllt eben. Mein Ehemann hat sich auf den Kinderstuhl gesetzt und versucht ein Liedchen zu singen. Seine Stimme wird vom Jammern übertönt. Plötzlich sagt mein Sohn, zum Sohn der Freundin „Hab keine Angst, die gehen doch nur was Kleines essen und dann kommen sie wieder heim“ – Schluchzen – Der Junge überlegt: „Und was ist, wenn sie eine große Portion bestellen…?“ – Er ist bereits ein wenig ruhiger. Vierjährige sind eben viel bessere Psychologen als Hausdrachen. Ein Hausdrachen macht alles nur schlimmer.
Und so kommt es, dass sofort Friede einkehrt, wenn wir außer Haus sind. Die Jungs schlafen selig ein.

Hausdrachenmusik

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3 Antworten auf Hausdrachen – Stereo

  1. nice quotes i really liked all of them i even screened
    taken some: )
    thanks for brilliant nice quotes: )

  2. Boris Kálnoky sagt:

    Hausdrachen mit Herz und Verstand sind doch eigentlich gar keine richtig wirklich echten Hausdrachen. Oder was sagt die Fachliteratur?

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